Vorbildliches Leadership reagiert nicht auf Wandel, es erzeugt ihn
In etlichen Branchen sind die Beschäftigten der eigentliche Wert einer Organisation, beispielsweise im gesamten Dienstleistungssektor. Aber auch in der Industrie sorgen die Arbeiter meist für die entscheidenden Vorschläge für Prozessoptimierungen, Kundennutzen und Kostenvorteile. Sie tun das, weil sie nachdenken, weil sie sich engagieren, weil ihnen etwas liegt am Erfolg ihres Unternehmens.
In wiederkehrenden Auftritten – z.B. bei Haupt- und Betriebsversammlungen – proklamieren die Vorstände und Geschäftsführer dann, das Kapital des Unternehmens seien die „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Aber solche Fensterreden kommen nicht glaubwürdig rüber, wenn der gepriesene Anspruch in den vergangenen 12 Monaten nicht gelebt wurde.
Allenthalben fehlt es am Bonding
Allenthalben fehlt es in deutschen Unternehmen und Abteilungen am Bonding, an der vertrauensvollen Beziehung. Das ist nicht zu verwechseln mit Freundschaft. Nehmen wir das Bild vom Kletterer und seinem Sicherungsgeber am Boden: Natürlich kann der Kletterschüler seine eigenen Haltepunkte suchen, sich auf neue Wege wagen, aber wenn’s gefährlich wird oder er nicht mehr weiter weiß, hilft ihm der vertraute Meister bzw. Mentor, der das Sicherungsseil hält und ihm Tipps gibt aus eigener Erfahrung sowie Hinweise auf weitere Griffe und Trittpunkte in Reichweite.
Die sichere Basis unterstützt, führt und motiviert
Eine „sichere Basis“ erlaubt uns also, Risiken einzugehen, uns auszuprobieren, neue Wege zu erkunden und dabei Spaß zu haben. Man lernt – beim Klettern wie im Unternehmen –, indem man eigene Lösungen erprobt, persönliche Vorstellungen und Theorien testet und etliche Fehler macht. Dafür benötigen wir jemanden, der uns unterstützt, führt und motiviert – einen guten Vorgesetzten, der unsere Besonderheiten und Möglichkeiten erkennt und uns nicht nach unserer aktuellen Laune und Leistung beurteilt. Ein gemeinsames Ziel wird das fruchtbare Miteinander zusätzlich fördern.
Wenn der Vorgesetzte allerdings selbst nervös und unausgeglichen ist und ständig neue Ansprüche an sein Team stellt und zusätzliche Ziele vorgibt, wird es ihm nicht vertrauen und nichts Neues wagen oder Risiken eingehen. Beschäftigte brauchen also Vorgesetzte, die eine freundliche und engagierte Souveränität ausstrahlen und wissen, was sie tun.
Jeder kann das System des Bondings selbst prüfen: Denken Sie, lieber Leser, einmal darüber nach, welcher Ihrer Lehrer Sie am meisten gefördert und gefordert hat. Von welchem Erwachsenen haben Sie am meisten gelernt? Welcher hat die höchsten Ansprüche an Sie persönlich, an Ihre Moral und an Ihr Engagement gestellt? – Sehr wahrscheinlich war es jemand, den Sie sehr mochten.
Vertrauen sät Vertrauen – Gewalt, auch psychische, brütet Gewalt
Die besten Vorgesetzten zeigen ihren Mitarbeitern immer wieder, dass sie sie als Menschen schätzen, dass sie Wert auf ihre Meinung legen und sich gern mit ihnen austauschen. Den Betroffenen tut es gut, von diesen Leitfiguren so achtsam behandelt zu werden. Der Vorgesetzte überträgt gleichsam Energie auf sie: emotional, intellektuell, vielleicht sogar spirituell. Sie werden versuchen, ihn nicht zu enttäuschen, sie werden ihm ihre Zuneigung, ihr Bonding, spiegeln. Die Intensität der Verbindung hängt vom Interesse beider Seiten daran ab.
Wer sich insoweit mit seinem Vorgesetzten, seiner Arbeitsstelle, seinem Unternehmen und den Kollegen verbunden fühlt, geht motivierter, inspirierter und resilienter ans Werk. Dies sind Voraussetzungen für neue Ideen und Veränderungen bei den Betroffenen. So entstehen Vertrauen und eine beschützende Atmosphäre.
In einem harmonischen Miteinander agieren die Gruppenmitglieder erheblich aufgeschlossener gegenüber Feedback als in einem Klima, das durch Skepsis und Kontrolle geprägt ist.
Unternehmen und Schulen, in denen Achtsamkeit und Vertrauen gelebt werden, sind zukunftsfähiger als solche, in denen eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit wohnt. Denn in menschlichen Beziehungen gilt das Echo-Prinzip: Vertrauen sät Vertrauen – Gewalt, auch psychische, brütet Gewalt.
Wer nicht trauern kann, wird keine wertvollen Verbindungen aufbauen
Wenn eine positive berufliche Beziehung irgendwann auseinander geht, weil einer der beiden wechselt, kündigt, in Rente geht oder erkrankt, wird tatsächlich so etwas wie Trauer nötig, um dies zu verarbeiten. Wer nicht trauern kann und will, wird viel Energie darauf verwenden, dieses Gefühl zu vermeiden und also erst gar keine wertvollen Verbindungen zu Kollegen und Vorgesetzten eingehen.
Rituale helfen, auch und besonders in der Zeit des Loslassens. Für Unternehmen bedeutet dies, sich angemessen von verdienten Mitarbeitern zu verabschieden, z.B. durch eine Feier, die dem betreffenden Kollegen entspricht. Oder durch eine Rede des Vorgesetzten. Oder durch ein Video über den Ausscheidenden. Oder ein angemessenes Geschenk.
Gegenwärtig ist in der Managementsprache oft von Veränderung, neudeutsch Change, die Rede. Das besagt eigentlich nichts Neues. Denn Unternehmen mussten sich immer auf verändernde Kundenwünsche, auf gesellschaftliche Strömungen, auf neue Handelsbeziehungen, Konsumgewohnheiten und Moden einstellen.
Betriebe, die sich nicht wandeln, werden vergehen
Wer sein Geschäftsmodell nicht ständig anpasst und neu ausrichtet, wird nicht zukunftsfähig sein. Das gilt für Betriebe im Großen wie für den einzelnen Beschäftigten im Kleinen. Deshalb sollten Unternehmen in eine veränderungsförderliche Kultur investieren, um eine Atmosphäre der Anpassungsbereitschaft, der Chancennutzung und der Fehlertoleranz zu entwickeln. Das menschliche Gehirn jedenfalls verändert sich und wächst durch Neugier, Erkundung und Lernen, wie die Hirnforschung herausgefunden hat.
Idealiter gewinnen Führungskräfte die Herzen, Köpfe und Seelen ihrer Mitarbeiter. Leadership reagiert nicht auf Wandel, es erzeugt ihn. Und Firmen, die sich den allgegenwärtigen Veränderungen nicht stellen und sie vorantreiben, werden vergehen.
Neugier ist wichtiger als Weisungsgehorsam
Früher ging es bei der Definition von Führung in erster Linie darum, Perfektion zu verlangen und Konflikte zu vermeiden. Heute sollten ambitionierte Firmen mindestens ebenso viel Wert legen auf Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, auf eine persönlich fördernde Umgebung und ein vertrauensvolles Miteinander unter den Kollegen. Neugier ist wichtiger als Weisungsgehorsam.
Wie motiviert Mitarbeiter an die Arbeit gehen, hängt im Wesentlichen vom Verhalten des Vorgesetzten ab. Wer Menschen führt, sollte wissen, dass das Eingeständnis von Schwächen eine Stärke ist. Und wer sich selbst eine Aura der Allwissenheit und des ewigen Besserwissens gibt und alle anderen stets berichtigen will, wird nicht viele Menschen finden, die ihn gern unterstützen.
Zur Exzellenz gehört immer Charakter
Selbst Superhelden haben Schwächen, das macht sie sympathisch und ein wenig lebensechter. Was wäre James Bond ohne seine Schwächen für Martini und hübsche Frauen? – Ein langweiliger Roboter.
Ein brillanter Vorgesetzter weiß viel über seine Mitarbeiter, auch private Details. Zusätzlich kann er subtile Zeichen für Atmosphäre und Stimmung im Team deuten. Er detektiert sensibel, wie sich eine Situation zwischen Menschen verändert und strahlt Integrität und ein Eintreten für humane Werte aus.
Letztlich sorgt er dafür, dass seine Leute bekommen, was sie brauchen – nicht, was sie wollen.
Zuoberst stehen die Menschen, dann kommt die Strategie
Gewiss: Wer in monopolartigen Strukturen Geschäfte macht, mag auch mit klassischen Managementmethoden weiterkommen. Wo aber starker Wettbewerb ist, werden Kommando, Chefallüren und Hierarchieverkrustungen zum Untergang beitragen.
Eine amerikanische Untersuchung hat 2001 unter der Führung des Managementberaters Jim Collins in Boulder, Colorado, eine Gemeinsamkeit herausgefunden von Unternehmen, die über einen Zeitraum von 15 Jahren weit erfolgreicher waren als der Wettbewerb: Alle diese Firmen hatten einen „Klasse-5-Geschäftsführer“, so die Autoren.
Diese Sorte von Unternehmenslenkern zeichnet sich durch spezifische Eigenschaften aus. Sie lassen sich in wenigen Sätzen so zusammenfassen: Menschen haben Priorität vor Visionen, Produkten und Erfolgen. Zuoberst stehen also die Menschen, dann kommt die Strategie. Und: Die Sache geht vor dem Ego. Beides ist kein Widerspruch.
Klasse-5-Unternehmenslenker suchen sich erstklassige Stellvertreter
Zudem zeichnet Klasse-5-Unternehmenslenker aus, dass sie weniger an sich selbst als an das Unternehmen denken und dass sie erstklassige Stellvertreter und Nachfolger an die Firma binden. Auch hier wird wieder deutlich: Die Eitelkeit ordnet sich der Sache unter.
Diese besondere Alchemie von Eigenschaften bei herausragend erfolgreichen Wirtschaftslenkern ist sehr selten. Wer seine Größe damit dokumentieren will, dass das Unternehmen nach seinem Ausscheiden leidet und weniger erfolgreich ist, kann nie die Klasse 5 erreichen. Denn zur Exzellenz gehört immer auch Charakter.
Natürlich bleiben gute Unternehmens- und Menschenführer cool, wenn es mal heiß wird. Sie sehen nicht in erster Linie Probleme, sondern Herausforderungen, Prüfungen, Möglichkeiten, besser zu werden, zu reifen – als Menschen und als Unternehmen. Sie suchen nicht die Schuld bei anderen, wenn mal etwas nicht läuft wie geplant. Vielmehr entwickeln sie schnell tragfähige Lösungen.
Agenten des Wandels formen Widerstände in positive Energien um
Schlechte Führer schauen in den Spiegel, wenn die Sonne scheint und alles gut läuft und aus dem Fenster (um einen schwarzen Peter zu finden), wenn sich die Dinge mal negativ entwickeln.
Gute Vorstände stellen ihre Unternehmen beständig auf Veränderungen und Anpassungen ein, sie transformieren ihre Firmen und mit ihnen die Unternehmenskulturen, sie sind Agenten des Wandels und können dabei die instinktiven Widerstände ihrer Untergebenen gegen die Veränderungen in positive Energien umformen. Dafür nutzen sie beispielsweise Rollenspiele, so dass jede Seite sich in die jeweils andere einfinden und deren Argumente begreifen und einsetzen muss. Große Kunst.
Herausragende Vorgesetzte inspirieren ebenso mit ihren Herzen wie mit ihrem Kopf und nehmen dabei vier entscheidende Aufgaben wahr: Sie artikulieren den Sinn und die Aufgabe ihrer Firma und ihrer Mitarbeiter, sie geben beiden eine Vision für ihre künftigen Entwicklungen, sie bauen und pflegen gute Beziehungen zu den entscheidenden Menschen – seien es Kollegen, Lieferanten oder Kunden – und sie nehmen Einfluss, damit die Vision nach und nach immer wirklicher wird.
Schlechte Führungskräfte sind überzeugt, alles selbst am besten zu können
Gute Vorgesetzte hören ihren Mitarbeitern aufmerksam zu, sie fokussieren sich bei ihren Weisungen und Ansprachen auf das Positive, motivieren das Team dazu, Risiken einzugehen und bleiben unaufgeregt, wenn mal etwas nicht läuft wie vorgesehen. Sie sind (fast) immer erreichbar, akzeptieren die individuellen Persönlichkeiten ihrer Leute und wertschätzen deren Stärken.
Abteilungsleitern, Geschäftsführern und Standortverantwortlichen sollte bewusst sein, was Jack Welch, der legendäre CEO von General Electric, so treffend formuliert hat: „Bevor Du Führungsverantwortung übernimmst, geht es darum, Dich selbst zu entwickeln. Wenn Du dann Führungsverantwortung hast, geht es darum, andere zu entwickeln.“
Schlechte Führungskräfte dagegen sind überzeugt, alles selbst am besten zu können. Teamarbeit halten sie für Zeitverschwendung. Sie kennen weder ihre eigenen Schwächen noch die Stärken der Anderen. Entscheidende Eigenschaften guter Führungskräfte sind die Fähigkeit, authentisch zu kommunizieren und der Wille, die Führung zu verantworten.
Die Offensiven kommen weiter als die Defensiven
Man könnte Beschäftigte in zwei Gruppen einteilen: Die einen, die Defensiven, sind fixiert darauf, das Erreichte zu sichern und keine Risiken einzugehen. Sie wollen, dass möglichst alles bleibt, wie es ist. Jede Veränderung nehmen sie als Störung ihres Umfeldes bzw. ihrer Arbeitsorganisation wahr.
Viel Energie verwenden sie darauf, keine Vergünstigungen, Pfründe und Statussymbole zu verlieren. Wagnisse werden vermieden, Fehler gebrandmarkt. Die Welt und auch andere Menschen teilen sie mitunter bipolar ein: Gewinner/Verlierer, nützlich/schädlich, richtig/falsch. Aber die Welt ist weder schwarz noch weiß, sie ist grau.
Wer stets nur versucht, keine Fehler zu machen, aus Angst und Unsicherheit, der wird andere ähnlich bewerten – nämlich danach, ob sie mal eine Kleinigkeit übersehen oder missinterpretiert oder zu spät gemacht haben. Die eigentlichen Werte und Besonderheiten der Kollegen wird jemand, der so sozialisiert ist, nicht ausreichend würdigen.
Die zur anderen Gruppe, den Offensiven, Gehörenden denken eher in Kategorien von Chancen und persönlichen Veränderungen. Sie wollen dazu lernen, reifen, persönlich profitieren und letztlich gewinnen. Entsprechend dynamisch und aktiv und risikofreudig verhalten sie sich.
Außerordentlich erfolgreiche Führungspersonen und Unternehmer gehören immer zur letzteren Spezies. Denn der Erfolg bedingt die Bereitschaft, etwas zu riskieren. Neue Erfahrungen machen den Menschen in vielerlei Hinsicht reicher. So ist bekannt, dass sich durch das Erleben von Herausforderungen und das Bestehen von vielen unterschiedlichen Situationen Hirnzellen bilden und die entsprechend aktiven Areale im Gehirn angeregt werden.
Eine Gefahr im Umgang mit diesen Menschen kann darin liegen, dass sie andere mit dem gleichen hohen Anspruch bewerten wie sich selbst. Wer also nicht ebenso positiv und veränderungsbereit wirkt, wird womöglich nicht weiter kommen in der Hierarchie, unabhängig von den Leistungen fürs Unternehmen.
Wenn Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten träumen
In jedem Fall sollten Unternehmen respektvoll mit jenen Mitarbeitern umgehen, die sich vor möglichen schmerzhaften Folgen von Veränderungen fürchten. Hier sind Informationen, Hilfsangebote und begleitende Fürsorgemaßnahmen entscheidend, um die Kolleginnen und Kollegen zu überzeugen.
Motivieren kann man Menschen üblicherweise dann, wenn sie nach eigenen Zielen streben, sie dabei eine Begabung oder Leidenschaft einbringen und dies weitgehend autonom und selbstständig tun können. Entsprechende Überlegungen sollte ein Vorgesetzter in einer Veränderungssituation für jeden seiner eher sicherheitsorientierten Mitarbeiter anstellen.
Gute Eltern vermitteln ihren Kindern, immer da zu sein für sie, wenn’s wirklich wichtig ist – und sie bedingungslos zu lieben. Idealerweise träumen die Kinder entsprechend von ihren Eltern: als diejenigen, auf die sie sich stets verlassen können, selbst in Alpträumen und Gefahren.
Ganz ähnlich ist das mit Vorgesetzten: Sie sind qua Funktion Hirten und sollten diese Aufgabe als eine fördernde und entsprechend wertschätzende interpretieren.
Gute Eltern achten weniger auf die Effizienz ihrer Kinder, sie sehen vielmehr die Menschen.
Herzlich, Ihr
Prof. Dr. Matthias Michael, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Reputationsmanagement