Dr. Willi Kremer-Schillings betreibt als Bauer Willi einen der wichtigsten Landwirtschaftblogs. Der Nebenerwerbslandwirt hat den DGfR-Präsidenten Matthias Michael über die Reputation der deutschen Landwirtschaft interviewt.
Bauer Willi: Herr Prof. Michael, welche Ursachen sehen Sie für das schlechte Bild der Landwirtschaft? Wobei der Landwirt in der Nachbarschaft ja durchaus beliebt ist.
Matthias Michael: Der Landwirt ist bei denen beliebt, die ihn kennen. Sie können seine Perspektive einnehmen, weil sie ihn verstehen mit seinem Tun und seinen persönlichen Herausforderungen. Aber die meisten Menschen – nämlich jene, die in den Städten leben – kennen ihn nicht. Die urbane Öffentlichkeit misstraut einer industriellen Landwirtschaft mit unterstellter Tierquälerei, Profitgier und Umweltverschmutzung. Der Bauer steht unter Generalverdacht. Die Ursachen für die schlechte Reputation liegen vor allem darin begründet, dass die Landwirtschaft ihre Risikothemen nicht behandelt hat. Das bedeutet: Sie dokumentiert nicht genügend Bewusstsein für ihre schwierigen Themen. Es fehlt an diskutablen Lösungen – mit all deren Schwächen und Konflikten. Nehmen sie die Beispiele Ferkelkastration, Kastenstand, Anbindehaltung, Schnäbel-, Hörner- und Schwanzkupieren, Gülleproblematik, Turbokühe, Qualzucht, Tiertransporte, Glyphosat, Antibiotika, Kükenschreddern…
Außerdem hat die Landwirtschaft kein glaubwürdiges und vertrauensbildendes Sprachrohr. Sie ist disparat organisiert: Viele landwirtschaftliche Gruppen und Verbände bemühen sich nur um die Ansprache ihrer eigenen Klientel. Die breite Öffentlichkeit erfährt davon nichts. Sie wird beeinflusst durch eine effektvolle Kommunikation von Initiativen und Nichtregierungsorganisation sowie durch kritische Medienberichterstattung über die Landwirtschaft. Bilder von verletzten, verstümmelten und leidenden Tieren sind in den Köpfen vieler Fernsehzuschauer und Social-Media-Nutzer.
Was muss ich mir als Laie überhaupt unter „Reputationsmanagement“ vorstellen?
Die Reputation beschreibt das nachhaltige Vertrauen, das einer Organisation entgegengebracht wird. Und zwar langfristig und von allen Anspruchsgruppen – intern wie extern. Auf diese Weise mehrt die betreffende Organisation ihr Betriebs- und Anlagevermögen und sichert so die eigene Existenz strategisch. Die Reputation ist der wichtigste immaterielle Wert eines Unternehmens und eigentlich jeder Organisation, selbst des Bundesverfassungsgerichts. Ist sie beschädigt, geht Vertrauen verloren, was zumeist mit vielfältigen Friktionen, mit einer beeinträchtigten Geschäftstätigkeit und mitunter sogar mit dem Verschwinden von Einrichtungen, Unternehmen, Marken einhergeht. Die gute Nachricht: Die Reputation lässt sich managen. Das ist Aufgabe der jeweiligen Führung der Organisation. Dazu zählen vielfältige Strategien und Maßnahmen, beispielsweise eine erstklassige Produkt- und Leistungsqualität, ein kenntnisreicher und kreativer Geist für Neuerungen, ein vorbildliches Miteinander in einer wertschätzenden, freundlichen Atmosphäre, ein Idealismus, sich für das Richtige einzusetzen, eine moderne Kultur, die von Vertrauen und Offenheit geprägt ist.
Wer sind Ihre Kunden und wie gehen Sie vor?
Wir beraten und unterstützen Unternehmen, Verbände, Stiftungen und Institutionen aus allen Industrie- und Dienstleistungsbereichen – vor allem mittelständische. Beispielsweise untersuchen wir die Symbolik einer Organisation: Wie fühle ich mich als Kunde oder als Beschäftigter dieser Einrichtung? Wie zukunftsgewandt verhält sich der Betrieb? Ist er damit ausreichend gut gerüstet? Wie kann er seine Reputation verbessern und Anhänger und Kunden gewinnen? Gemeinsam mit dem Kunden sorgen wir auf vielfältige Weise, z.B. durch die Entwicklung einer Markenidentität, eines Wertezusammenhalts und einer vorbildlichen Kommunikation für seine „Reputationsversicherung“. Das alte Produktmarketing wird vom „Wertemarketing“, so nenne ich das, abgelöst. Diese Entwicklung wird die Wirtschaft zunehmend konsolidieren: Die Schlechten werden aussortiert.
Die gesamte Agrarbranche redet ja unentwegt von Öffentlichkeitsarbeit. Passiert da wirklich was? Und mit Ihrem Blick von außen: Erkennen Sie ein einheitliches Konzept, eine Strategie?
Eine professionelle und wirkungsstarke Öffentlichkeitsarbeit mit vielfältigen aufsehenerregenden Aktivitäten wäre zwar hilfreich. Aber man sollte die Problematik zunächst einmal grundlegender anpacken: Alle Themen, die der Landwirtschaft von unterschiedlichen Seiten vorgehalten werden, gehören auf den Tisch. Dann wird daran gearbeitet: Die Risiken werden minimiert, Lösungen entwickelt und angeschoben. Dazu braucht es eine schlagkräftige Truppe, die das Reputations- und Themenmanagement unabhängig voranbringt – z.B. mit Interviews, Workshops, Botschaften, technischen und politischen Lösungen. Diese Truppe müsste sich dadurch auszeichnen, dass sie keine Rücksicht zu nehmen braucht auf Partikularinteressen. Sie muss dann mit allen Anspruchsgruppen in Dialog treten – selbstverständlich auch mit Kritikern der Landwirtschaft. Erst am Ende, wenn die Vorschläge und Lösungsansätze stehen, gibt es eine Kommunikationsstrategie, um die wichtigsten Medien und Kanäle glaubwürdig einzubinden. Nur ein solches strukturiertes Vorgehen kann der Landwirtschaft nachhaltig helfen.
Im Vergleich: Inwieweit unterscheidet sich die Agrarindustrie von anderen Branchen? Wird hier besonders viel gejammert und andererseits gefordert?
Andere Industriezweige sind homogener zusammengesetzt. Da sind die Branchenmitglieder zwar Wettbewerber, sie verfolgen aber immerhin die gleichen politischen Ziele. Das ist in der Landwirtschaft durchaus schwieriger: Der Daunenverband hat andere Ziele und Themen als der Gurkenverband, der Hasenverband und der Verband Deutscher Mühlen. Und eine Brüterei unterscheidet sich in ihren Themen von einem Traktorenhersteller und einem Düngemittelunternehmen. Aber alle sollten interessiert sein an einer steigenden Reputation der Landwirtschaft – sonst wird es einige der genannten Organisationen bald nicht mehr geben.
Wer kann und wer soll die Situation ändern? Das Forum Moderne Landwirtschaft?
Die Idee für das Forum Moderne Landwirtschaft halte ich für grundsätzlich richtig. Aber das Forum hat nach meiner Wahrnehmung noch keine durchschlagenden öffentlich wirksamen Erfolge erzielt.
Ihre ehrliche Meinung zu Agrarbloggern: Erreichen diese eine breite Öffentlichkeit oder bleiben auch die in ihrer Filterblase und Echokammer? Was könnten sie anders und besser machen?
Die Agrarblogger machen eine authentische Arbeit. Das ist tägliches kommunikatives Trommelfeuer. Wer sich für die moderne Landwirtschaft interessiert, kann sich hier ein Bild von Familienbetrieben machen, die Transparenz herstellen und ihr Leben und Arbeiten dokumentieren. Die Agrarblogger werden auch von Journalisten angerufen. Aber sie können nur für sich sprechen und nicht für ihre jeweilige Branche – und schon gar nicht für die gesamte Landwirtschaft. Da wären die vier Spitzenverbände gefragt: der Deutsche Bauernverband – DBV, die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft – DLG, der Deutsche Raiffeisenverband – DRV und der Verband der Landwirtschaftskammern – VLK.
Sie sprechen von authentischer Darstellung der Landwirtschaft. Viele Landwirte bemühen sich, dem Verbraucher etwas zu erklären. Wie kommunizieren wir so, dass wir beim Mitbürger einen Denkprozess in Gang setzen?
Vertrauen entsteht durch Kenntnis, durch persönliche Kontakte, durch ein menschliches Miteinander. Vertrauen können wir nur jemandem, den wir – zumindest oberflächlich – kennen. Verantwortliche sollten den Menschen endlich erklären, was moderne Landwirtschaft ist und bedeutet. Die Kikeriki- und Bullerbü-Landwirtschaft von vor 50 und 100 Jahren gibt es nicht mehr. Bäuerliche Betriebe, die in der Zeit der Digitalisierung und der Globalisierung ihre Waren gewinnbringend vermarkten wollen, waren gezwungen, sich zu spezialisieren, zu investieren und technisch und organisatorisch zu modernisieren. Höfe, die dazu nicht in der Lage waren, haben nicht überlebt. Diese Entwicklung dauert an. Das bedeutet: Die Höfe werden größer, die landwirtschaftliche Produktion wird intensiviert. Das betrifft übrigens auch die Bio-Betriebe. Diese Tatsachen sollten die Menschen kennenlernen. Aber die Landwirtschaft hat versäumt, den Menschen diese Sachverhalte zu erklären. Und die Nahrungsmittelindustrie verklärt ganz bewusst die Lebensmittelproduktion, um die angenommenen Erwartungen der Verbraucher zu erfüllen: Da mäht auf den Verpackungen noch immer der Alm-Öhi mit Bart und Hut die Blumenwiese mit seiner alten Sense. Wie vor 100 Jahren.
Wo sehen Sie Möglichkeiten eines wirklich professionellen Reputationsmanagements?
In Diskussionen mit Bauern, Verbandsleuten und Industrievertretern stelle ich fest, dass zu viel in Hinterzimmern kommuniziert und lobbyiert wird. Die Landwirtschaft hat noch nicht verstanden, dass sie gerade die schwierigen Themen selbst kommunizieren sollte, bevor es Initiativen und Medien tun. Denn wenn man nach einer kritischen Berichterstattung reaktiv in der Ecke steht, ist es schwierig, die Deutungshoheit über das betreffende Thema zu reklamieren. Es braucht einen proaktiven Zugang: Transparenz, Ehrlichkeit, Reflexionsvermögen und eine grundlegend neue und moderne Herangehensweise. Nehmen Sie das Beispiel Anbindehaltung: Wenn ich mit Verbandsvertretern darüber spreche, sagen sie, sie müssten Rücksicht auf ihre Mitglieder nehmen. Deshalb sei das Thema nicht opportun. Das ist kurzsichtig. Denn dieses Thema ist, wie ich finde, nicht mehr öffentlich vermittelbar. Die Anbindehaltung ist zwar noch legal in Deutschland, aber sie wird nicht mehr als legitim betrachtet. Weil es bessere Lösungen gibt. Es handelt sich also um ein Risiko, ein Damoklesschwert, das absehbar herunterfallen wird. Aber es wird nicht angegangen, nicht kommuniziert, nicht proaktiv gemanagt. Wenn Risiken erkannt werden, müssen sie minimiert und möglichst ausgeschlossen werden. Wir helfen Unternehmen und Verbänden, ihre unabdingbaren Risiken modern zu behandeln, Lösungen aufzuzeigen und darüber mit den Betroffenen einen Dialog zu führen. Aber die Landwirtschaft agiert hier noch wie in der vordigitalen Ära. Sie tut so, als könne sie Risiken totschweigen und verbergen. Die Zeit der Geheimnisse ist aber vorbei.
Was bedeutet das konkret: Wer müsste was tun?
Die beschriebene Arbeitsgruppe Landwirtschaft sollte Lösungen für die Risikothemen entwickeln und diese proaktiv und wirkungsstark kommunizieren. Dazu muss sie mit genügend Budget ausgestattet sein. Und diese Form der Offenheit braucht Mut. Menschen müssen ehrlich sagen, was ist und welche Schwierigkeiten sie auf welche Weise behandeln und warum sie das so tun und welche Alternativen es gäbe und wer – beispielsweise die Politik – dafür was tun müsste. In diesem Prozess wird es viele emotionale und anstrengende Diskussionen geben. Zu den Instrumenten gehören Talkshowauftritte, Whitepapers, Fernsehproduktionen, Social-Media-Kampagnen, Großveranstaltungen mit multimedialer Verbreitung und eine Agenda-Setting-Strategie. Nur so kann man den Perspektivwechsel herstellen, so dass die Verbraucher sich in die Bauern hineinversetzen und sie verstehen können. Dann werden die Menschen auch mehr für gute Produkte aus Deutschland bezahlen. Die Bürger wären bereit, mehr auszugeben, wenn sie besser wüssten, wofür. Mit ihnen sollte ehrlicher, umfangreicher, reflektierender, dialogischer und mithin vertrauensbildender kommuniziert werden.
(siehe auch: https://www.bauerwilli.com/die-landwirtschaft-drueckt-sich-vor-ihren-kritischen-themen/)