Die öffentliche Berichterstattung trägt zu Frust, Wut und Angst bei
In der Zeit von Internet und Online-Plattformen werden richtig und falsch ersetzt durch „gefällt mir“. Die Anschauung und die Wirkung siegen über die Wahrheit. Ob eine Behauptung auf einer Tatsache oder einer Meinung beruht, spielt für viele Menschen kaum eine Rolle. Hauptsache, die Meinung passt ins Konzept, sie findet Applaus: Zuspruch statt Anspruch. Erfolgreich ist, wer der Meute nach dem Mund redet.
Es ist die Zeit der #Populisten. Unter ihnen gibt es rhetorisch Geschicktere und Ungeschicktere.US-Präsident Donald #Trump, der bekannteste und einflussreichste unter ihnen, verkörpert wie kaum jemand sonst den Sieg der Authentizität über die Wahrheit. Denn er lügt ohne Unterlass und findet nichts dabei. In seiner ersten Amtszeit als US-Präsident hat er gemäß einer Datenbank der Washington Post mehr als 22.000 irreführende oder falsche Behauptungen verbreitet – vor allem in seinen Social-Media-Postings und seinen Reden. Seine Tweeds über Chinas angebliche Erfindung des Klimawandels, die Besucherzahlen seiner Amtseinführung, vergewaltigende Mexikaner und gestiegene Mordraten sind Legende. Der Grund für die hohe Lügenzahl liegt in der ständigen Wiederholung. Mehr als 200 mal hat er behauptet, das US-Militär in seiner ersten Amtszeit als Präsident komplett neu aufgebaut zu haben. Das haben Faktenchecker als falsch bewertet. Mehr als 400 mal trompeteteTrump, die erfolgreichste Wirtschaft der Geschichte geschaffen zu haben. Was ebenfalls nicht durch Fakten zu bestätigen ist. Eine Studie der Cornell University untersuchte 38 Millionen Artikel, die in englischsprachigen Medien rund um den Erdball zwischen dem 1. Januar und dem 26. Mai 2020 über die Corona-Pandemie veröffentlich worden waren. Die Forscher sind zu dem Ergebnis gekommen, der damalige Präsident Trump sei mutmaßlich der größte Treiber von Falschmeldungen und Verschwörungslegenden gewesen. Übrigens hat er auch mindestens 260 mal Mythen, Inhalte und Codes der QAnon-Bewegung verbreitet.
Trump ist schon deshalb ein Phänomen, weil er, wenn er offenkundig lügt, auf die Seinen trotzdem authentisch wirkt. Vielleicht glaubt er tatsächlich, was er sagt, selbst wenn er den Inhalt gerade erfunden hat. Auch solche Fälle soll es geben. Eigentlich müssten seine Anhänger aber davon ausgehen, dass er seine Lügen nicht selbst glaubt, sondern aus strategischen Gründen in die Welt schreit. Möglicherweise halten sie ihm zugute, dass er zwar lügt, aber mit diesen Lügen etwas Gutes erreichen will. Er übertreibt, er erfindet, er phantasiert und tut so, als berichte er Fakten. Seine ehemalige Pressesprecherin leistete dahingehend einen peinlichen Offenbarungseid, als sie in diesem Zusammenhang „alternative Fakten“ deklamierte. Sofern Trumps Geschichten nicht zutreffen, sprechen sie doch offenbar die Gefühle und Ängste seiner Anhänger an. Genau das zeichnet Populisten aus: Sie adressieren die Sorgen ihres interessierten Publikums. Sie können artikulieren, was Menschen fühlen. Ob die Ängste begründet sind, ob die kommunizierten Tatsachen faktisch zutreffen, ist nicht entscheidend. Sondern das Verständnis und die Verbundenheit mit dem Redner. Wenn dieser Mensch besonders markant, männlich und autoritär formuliert und wirkt, kann er bei verängstigten und sicherheitsorientierten Menschen, die sich vernachlässigt fühlen, als Projektionsfläche dienen – als starker Typ, als Retter, der die alte Sicherheit wieder herstellen wird.
Aus Erfahrung weiß Trump: Eine pompös vorgetragene Lüge (z.B. die Behauptung eines Betruges bei seiner Wahlniederlage 2020), die sich über Wochen und Monate immer weiter verbreitet und über die Menschen ausführlich diskutieren, wandelt sich zu einer Aussage, die zunehmend als Wahrheit anerkannt wird. Weil sie einen plausiblen oder erhofften #Tatsachenersatz oft und von unterschiedlichen Seiten gehört haben, glauben ihn viele Menschen irgendwann. Das menschliche Gehirn wünscht sich eine Bestätigung seiner Meinungen, Haltungen, Erfahrungen – eine kognitive Konsonanz.
Übrigens: Was Trump gestern gesagt hat, schert ihn nicht, wenn er heute mit dem Gegenteil Menschen für seine Sache gewinnen kann. Diese zur Schau getragene #Prinzipienlosigkeit macht ihn unberechenbar und öffentlich wirkungsstark. Er dokumentiert gleichsam eine Haltungs-Flexibilität, indem er sich gesellschaftlichen Wünschen und Strömungen anpasst und seiner Gemeinde stets das sagt, was sie bestätigt und weiter vereinnahmt. Mit jedem populistischen Statement untermauert Trump: Nicht auf den Inhalt kommt es an, sondern auf den Menschen, auf die Führerfigur, die weiß, was sie möchte. Dass ihr nicht alles gelingt, wird als menschlich verbucht. Der Versuch, etwas aus ihrer Sicht Richtiges zu tun, reicht der Trump-Bewegung schon aus.
Donald Trump verkörpert den Sieg der Authentizität
über die Tatsachen
Trump setzt geschickt private Online-Plattformen ein, die euphemistisch „soziale Medien“ genannt werden, obwohl inzwischen hinreichend erforscht ist, dass sie insgesamt nicht sozial wirken, sondern vielmehr extreme Positionen stärken, so dass sich zumindest die demokratischen Gesellschaften durch den Einfluss dieser Angebote eher auseinander entwickeln als integrativ gefestigt werden. In diesem Sinn hat er gleich ein eigenes Direktmedium namens Truth Social gegründet. Hier werden Beiträge „Truths“ genannt. Aber Trump nutzt auch die Berichterstaatungsmechanismen der klassischen journalistischen Medien wirkmächtig aus, weil viele von ihnen über jeden verrückten Gedanken, jedes in die Welt geworfene Wort, jede wirre Idee und jede provokative Antwort berichten. Auf diese Weise kommt er fast täglich in die Weltnachrichten, obwohl er vielleicht nichts getan hat. Denn alles, was er sagt und verlauten lässt, gilt bei einigen Medien offenbar als Nachricht. Zu jeder noch so absurden Äußerung wird dann recherchiert, interpretiert und kommentiert. Journalisten befragen „Experten“, die erklären sollen, wie er das gemeint haben könnte und was es bedeuten würde, wenn er es tatsächlich so gemeint hätte, wie sie glauben. Auf diese Weise bewirtschaftet Trump eine #Dauererregung der Öffentlichkeit, nicht nur in den USA.
#Konflikte und Differenzen empfinden Menschen als allemal anregend und unterhaltsam. Geschickt inszeniert, können die Leser, Hörer und Zuschauer mehrheitlich gar nicht anders, als der Person, die vom Berichterstatter als heldenhaft agierend beschrieben wird, ihre Sympathien zu zollen, während der als unseriös dargestellte Gegenspieler selbstredend als gemeiner, egoistischer oder unfähiger Antagonist wahrgenommen wird. So funktionieren Romane, Theaterstücke, Spielfilme. Fast jede #Dramaturgie ist als eine #Heldenreise angelegt.
Menschen verstehen das, erleben sie doch fast alle täglich ihre eigenen Heldenreisen, in denen sie Prüfungen und Herausforderungen bestehen müssen und dazu z.B. auf Schwellenhüter, Gestaltwandler, Trickster, Gegenspieler und Verbündete treffen. Dass der Held manchmal smart sein und sich mit Schummeleien oder Notlügen behelfen muss, wenn er an sein hehres Ziel gelangen will, wird ihm gern verziehen. Die zweifelhaften Mittel entheiligen bei den so denkenden Menschen nicht den angenommenen guten Zweck.
Was der Kampfthese entspricht,
wird eingebaut – die Gegenseite kommt nur alibihalber vor
Nicht nur Wörter können lügen, sondern genauso #Bilder. Die #Bildberichterstattung erfolgt zunehmend nicht mehr in Form des angloamerikanischen Ideals „Sagen, was ist“, sondern in #Storyform. Alle Magazinsendungen im Fernsehen funktionieren so. Sie erzählen Geschichten mit Anfang, Konfrontation und Ende. Idealerweise kommen die Archetypen des Helden und seines Gegenspielers, des Schattens, vor. Der Autor vertritt eine These und baut seinen Film, um diese Sicht der Dinge argumentativ zu bestätigen. Was der Kampfthese entspricht, wird eingebaut, was ihr widerspricht, kommt allenfalls kursorisch vor oder wird weggelassen. So erhalten die #Mediennutzer einen deutlich geschönten bzw. zugespitzten oder einseitigen Eindruck des Geschehens und der Wahrheit.
Ohnehin kann kein Medium die ganze #Wahrheit darstellen, sondern allenfalls einen Ausschnitt daraus. Die Berichterstattung sollte, wenn sie seriös ist, den Anspruch haben, sich der Wahrheit möglichst weit zu nähern. Aber täglich gibt es Gründe, sich für journalistische Produkte zu schämen. Wobei die Medien der bewegenden Bilder stärker emotionalisierend wirken als jene, die weniger Sinne ansprechen. Denn bei den audio-visuellen Geschichten ist entscheidend, welche Bilder wie eingesetzt, montiert, vielfach bearbeitet und elektronisch verändert und wie sie betextet werden. Die #Manipulationsmöglichkeiten sind hier folglich erheblich größer als bei der reinen Formulierung von Wörtern (#Druckmedien) oder der zusätzlichen Verwendung von Stimmen, Musik und Geräuschen (#Radio).
Dem Fernsehen und vielen Menschen gefiel das bizarre Auftreten,
weil es unterhaltsam war im Land des Showbiz
Weil das alles so ist, lässt sich statuieren, dass die erste Wahl von Donald Trump 2016 zum US-Präsidenten viel mit den Mechanismen der massenmedialen Berichterstattung zu tun hatte. Trump präsentierte sich nämlich schon in den Vorwahlen gänzlich anders als die anderen Kandidaten, beispielsweise mit seinen Schwächen in der adäquaten Ausdrucksweise: mit Pöbeleien, Beleidigungen, peinlichen Anekdoten. Mit Ressentiments, die Beobachter als sexistisch, ausländerfeindlich oder sonstwie politisch unkorrekt bezeichnen. Diese Selbstinszenierung machte ihn interessant. Er polterte, griff Menschen frontal und persönlich an und gab sich wenig staatsmännisch. Dem US-amerianischen Prvatfernsehen gefiel das, denn die #Marktanteile und #Zuschauerquoten stiegen immer an, wenn Trump zu sehen war und anfing, über andere herzuziehen und sich selbst zu preisen.
Nun könnte man meinen, Trump habe sich mit seinen bizarren Auftritten aus dem Rennen gespielt. Im Gegenteil: Überraschend viele Wähler mochten das und hielten ihn für präsidiabel. Der Immobilienhai aus New York war offenbar unterhaltsam und erfüllte damit vortrefflich die Erwartung der Menschen im Land des #Showbusiness, wo das #Entertainment traditionell mehr bedeutet als irgendwo sonst. Sie meinten, er spräche ihnen aus der Seele, wenn er angebliche Vertreter des Establishments beschimpfte, obwohl er selbst wie kaum jemand sonst von jeher zum Geldadel und mit seinen Unternehmen zur Wirtschaftselite gezählt hat. Er überzeichnete, ironisierte, formulierte drastische Vergleiche und deutete bisweilen nur etwas an, was die Menschen im Publikum dann selbst fertigfantasieren sollten – z.B. über seine Gegenkandidatin auf der Toilette. Seine Performances ähnelten den aufheizenden Darbietungen von Stand-up-Comedians, auch im #Wahlkampf 2024 übrigens. Mal schrie er wie ein Verkäufer auf dem Hamburger Fischmarkt, mal umarmte er die amerikanische Flagge, mal beschwor er wie eine angsteinflösende Wahrsagerin eine schlimme Zukunft. Aber immer ließ er seine Anhänger glauben, er allein könne dem Staat zu einer Prosperität in jeder Beziehung verhelfen, so dass es allen Menschen nach seiner Wahl besser gehe als jemals zuvor. Die #Trumpisten wollten das glauben. Make America great again! – MAGA – so lautete das so inbrünstig wie iterativ vorgetragene Glaubensbekenntnis der beinahe religiösen Bewegung der Trump-Gläubigen.
Etwas Weiteres hatte Trump erkannt: Viele Millionen Menschen in den USA waren die Bilder vom Krieg in der Ukraine leid. Dieser weit entfernte Kampf zwischen Russland und der Ukraine sollte, so meinten sie, nach bald drei Jahren ein Ende haben. Sie fanden, die USA wären gut beraten, sich nicht weiter mit Dutzenden Milliarden US-Dollar an dem Krieg zu beteiligen. Insofern kann es als überzeugender Schachzug des Präsidentschaftskandidaten Trump bewertet werden, sich selbst als denjenigen zu stilisieren, der den Krieg sofort beenden würde, wenn er an die Macht käme. Seit Januar d.J. erneut im Präsidentenamt, verhandelt Trump mit den Kriegsparteien. Die Zeit spielt für ihn, weil sowohl die russischen als auch die ukrainischen Streitkräfte ausgelaugt sind von den langen und verlustreichen Gefechten.
Das TV zeigt vor allem akutes Geschehen – es fällt
ihm schwer, das Steuersystem zu erklären
Was in Kriegen als erstes stirbt, ist die Wahrheit, heißt es richtigerweise. Das trifft jedenfalls auf alle Kriege seit dem #Vietnamkrieg zu. Denn in Vietnam konnten Berichterstattende noch wirklich unabhängig berichten und ohne eine Abstimmung mit den eigenen #Militärs fahren, wohin sie wollten und kritisch Zeugenschaft ablegen. Mutige Reporterinnen und Reporter machten davon Gebrauch und berichteten unzensiert – und zwar auch über #Menschenrechtsverletzungen, #Kriegsverbrechen, brutale Taten und unangemessene Einsätze der eigenen Militärs gegen Zivilisten. Historiker resümieren, der Krieg gegen die nordvietnamesischen Kämpfer sei an der sogenannten Heimatfront verloren worden, weil die amerikanische Öffentlichkeit infolge der verstörenden Berichterstattung nicht mehr hinter den eigenen Truppen und ihrem von den Medien kritisierten Vorgehen stand.
Zu den ehernen Prinzipien des #Journalismus zählt, in einem Konfliktfall immer beide Parteien zu kennen und darzulegen. Audiatur et altera pars – man höre auch die andere Seite – ist ein Grundsatz römischen Rechts, den jeder Redaktionsvolontär einer Tageszeitung in der ersten Woche seiner Ausbildung lernt, weil er ihn in seinem Beruf dauernd anwenden wird. Ein weiterer Grundsatz für seriöse Journalisten bestimmt, dass sie ihr Publikum mit der Berichterstattung informieren und nicht einseitig beeinflussen sollten. Demnach könnten sich Medienhäuser verstehen als Orte der Mäßigung statt der Missionierung. Berichterstattende sollten den zweiten Gedanken zulassen und über ihre Inhalte, ihre Quellen und die Wirkung ihres Tuns reflektieren.
Man kann im Sinne der beiden großen TV-Nachrichtenpräsentatoren Charles Wheeler (BBC) und Hanns Joachim Friedrichs (ARD) den #Journalismus verstehen als eine Zeugenschaft, die wiedergibt, was ist, statt das Publikum bekehren zu wollen. Hierbei sollte er aber die gesellschaftlich wichtigen Themen umfangreich abbilden und plausible Lösungen und deren Folgen analytisch porträtieren. Gerade im Hinblick auf jene Menschen, die keine politische und wirtschaftliche Macht haben, die Armen, die Randständischen, die Benachteiligten. Dieses konstruktive Bemühen – beispielsweise um die universellen Menschenrechte – wäre in den Medien vieler Staaten durchaus erforderlich. Journalismus ist nicht deshalb einflussreich, weil er den Menschen sagt, was sie denken sollten, sondern vielmehr, worüber sie sich Gedanken machen können. Die Medien setzen die Themen des gesellschaftlichen Diskurses. Ein Thema, das in einem Staat als wichtig gilt, spielt in seinen Nachbarländern vielleicht keine Rolle.
Die Nachrichten servieren einen Bildersalat
oft ohne Einordnung – Versatzstücke, Scherben, aktuelle Reste
Das Fernsehen und die Plattform-Anbieter des Internets arbeiten mit der Banalität der Bilder. Die audio-visuellen Medien kratzen an der Oberfläche von Themen, sie zeigen in erster Linie akutes Geschehen. Entsprechend schwer tun sie sich damit, ein Steuer-, Renten- oder Gesundheitswesen zu erklären. Die täglichen #Nachrichten servieren einen Bildersalat – oft ohne Kontext, ohne Einordnung. Die Bilder sind unterhaltsam, mal süß, mal traurig, mal lustig. Wie auf dem Jahrmarkt. Sie bieten allenfalls Versatzstücke, Scherben, aktuelle Reste. Die zusammenhanglose Abfolge trägt ihr Übriges bei, um das Publikum zu frustrieren. Da wechseln sich Politiker-Händeschütteln ab mit Pandabären, Kriegsbildern, Rot- und Blaulicht, Promiklatsch, Börsenkursen, Lottozahlen, als Rauswerfer etwas aus dem Kuriositätenkabinett, damit die Menschen mit einem guten Gefühl das Licht ausmachen. Zurück bleiben: Unterhaltene, Verwirrte und Ohnmächtige.
Herzliche Grüße, Ihr
Matthias Michael, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Reputationsmanagement