Digitalisierung ist gar nicht nötig, solange Abläufe auch sinnlich, romantisch und hocheffizient funktionieren
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Das Faxgerät ist eine wunderbare Sache. Es war in den 1970er Jahren der erste Schritt ins digitale Zeitalter. Ein früher Vorbote, der heute wohltuend langsam, wertvoll und beständig seine Arbeit verrichtet wie ein Plattenspieler mit Riemenantrieb. Um es im Gedenken an den großen Verwaltungssachverständigen Loriot zu sagen: Ein Leben ohne Fax ist möglich, aber nicht sinnvoll.
Dem Faxgerät gebührt Respekt. Ihm gehört die Zukunft. Man kann damit Dokumente wie von Zauberhand von einem Ort an den anderen transferieren, z.B. Urkunden oder Zeugnisse, auch ganze Bücher. Sogar Liebesbriefe. Oder ein gemaltes Bild eines Kindes an seine Mutter, die im Ausland arbeitet.
Wir erinnern uns: Die Polizei verschickte so Fahndungsinformationen und -zeichnungen an Behörden auf anderen Kontinenten. Architekten sendeten ihre Baupläne in Nullkommanichts an die Auftraggeber. Autoren und Drehbuchschreiber kritzelten Änderungen auf das in den 1970er und 1980er Jahren immer knittrige und leicht chemisch riechende Thermopapier, wenn sie es umstandslos an die Produzenten oder Verleger übermittelten. Die Post musste fürchten, das Fax würde den Briefverkehr ersetzen und der gelbe Riese werde dann enden wie das Nokia-Handy und Anton Schlecker.
Ein Beitrag zur internationalen Verständigung.
Und ein Segen für die Welt
So hat das Faxgerät Vorgänge in Verwaltungen erleichtert, die Geschwindigkeit der schriftlichen bzw. gedruckten Kommunikation revolutioniert und zur internationalen Verständigung beigetragen. Ein Segen für die Welt!
Das Faxgerät hat die Jahrzehnte überdauert wie der deutsche Schalter mit Sprechanlage, die Lottozahlen und die Kehrwoche. Also bleiben ihm viele Arbeitgeber hierzulande so treu wie katholische Menschen vorgeblich ihren Ehepartnern. Die Verwöhnten wollen nicht verzichten auf die wohltuend rhythmisch surrenden Übertragungsgeräusche. Sie wissen, sie können oder dürfen das liebgewonnene Relikt nicht entfernen, weil Behörden oder Kunden andere Übermittlungen nicht akzeptieren. Ein gemailtes PDF-Dokument könnte womöglich digital verändert worden sein, fürchten jene, die alles Nach-Fax-Digitale meiden wie ein satanisches Ritual eines okkulten Ordens.
Die Fernkopie sogleich zu lochen und abzuheften,
gestaltet die Arbeitsabläufe hocheffizient
Außerdem: Das Fax ist eine zutiefst sinnliche Angelegenheit. Der Brief, das Dokument, die Zeichnung kommen gleichsam gegenständlich auf Papier und wie von einem Magier kontaktlos gezogen aus dem Gerät und breiten sich vor dem beglückten Empfänger aus. (Sofern die Papierrolle – bei den älteren Geräten – nicht gerade zur Neige gegangen ist.) Das Haptische ist nicht zu ersetzen durch das nur Digitale, Virtuelle einer Übermittlung. Dabei weht ein Hauch von Romantik durch die deutschen Verwaltungs- und Justizstuben, denn gewiss hätten auch Novalis und Brentano ihre Freude gehabt an den Zeilen und Zeichnungen, die fürwahr ohne reitenden Boten wie nur durch die Kraft der Gedanken erscheinen. Schon aus diesen Gründen sollte das Faxgerät nicht als Paternoster der Digitalisierung beschrieben werden, sondern eher als deren Wegbegleiter, Entwicklungshelfer, als dauerhaft bleibende Erstform.
Das übermittelte Dokument als Fernkopie gleichsam in den Händen haltend, kann es die Sachbearbeiterin oder der Sachbearbeiter spornstreichs lochen und abheften, was Zeit erspart, weil es weder zuvor digital in einen passenden Ordner verschoben noch ausgedruckt und vom Drucker geholt werden muss, um erst dann gelocht und sachwaltend verordnet werden zu können. Dies beweist, wie jedermann verstehen wird: Mittels Fax können Arbeitsabläufe hocheffizient gesteuert werden.
Obendrein leistet das Faxgerät in jeder Verwaltung mannigfaltige Beiträge zur internen Information und zur Verbesserung der Betriebskultur. Während die Assistentin das Gerät bedient und wartet auf den vollautomatischen Scan, gefolgt vom Übertagungsergebnis und -nachweis, verwickelt der Teamleiter sie in ein Gespräch, in dessen Verlauf sich beide wechselseitig über Neuigkeiten in der Personalabteilung und der Buchhaltung informieren. Das wäre ohne die gemeinsame Qualitätszeit am Fax nicht möglich gewesen. Auf diese Weise werden Missverständnisse und Informationslücken vermieden, und neues Wissen entsteht – zum Wohle der arbeitgebenden Organisation. Auch solche weichen Faktoren sollte berücksichtigen, wer danach trachtet, das Fax umstandslos zu beseitigen. Faxenkönnen ist eine lebenserhaltende Kulturtechnik von Verwaltungen seit rund 40 Jahren.
Faxe werden – je nach Richter – als Anscheinsbeweis
für eine Übermittlung anerkannt
Selbst Wikipedia klärt unter dem Stichwort Telefax die geneigte Leserschaft auf, Sendungen mit diesem Gerät stellten in Deutschland eine „kostengünstige und zeitsparende Alternative zu Einschreiben“ dar, „weil sie vor Gericht – je nach Richter – als Anscheinsbeweis für eine Übermittlung überwiegend anerkannt werden“. Heilige deutsche Rechtsprechung! Deshalb gehören Faxgeräte in Anwaltskanzleien, in Staatsanwaltschaften und Gerichten hierzulande zur Grundausstattung wie Tisch und Stuhl und Fensterblatt (Monstera deliciosa). Juristen und Faxe sind eine rechtsverbindliche Beziehung eingegangen, die nie wieder geschieden werden kann. Wird hier insoweit verwegen das Recht ausgelegt, oder drückt sich nun wiederum die deutsche Romantik aus, die darin begründet ist, am Bewährten festzuhalten, solange es summt und piepst und trötet, als hätten ein Telefon, ein Diskettenlaufwerk und ein Nadeldrucker eine intime Ménage à trois?
Oder aber, die Behörden wollen nicht herzlos sein. Man schiebt Altes nicht ab, nur weil es den Prozess der Leistungs- und Genussgesellschaft stört. Bei allem Betagten sollte man nicht einfach den Stecker ziehen. Was greise ist, muss selbst im Turbokapitalismus nicht unnütz sein – es sollte in Deutschland bestehen bleiben wie die Hauptschule, der Ottomotor und der Zapfenstreich. Wahrscheinlich werden die Geräte in Japan und Korea nur noch für das romantische Dreieck zwischen Flensburg, Frankfurt/Oder und Freilassing hergestellt.
Das gebenedeite Faxgerät
überlebt selbst seine Entfernung
Das Faxgerät wird in Deutschland von manchen jungen Menschen als Symbol für Rückständigkeit gegeißelt. Dem ist nicht so, wie hier glaubwürdig dargelegt. Wer sich trotzdem zum Büttel von kurzfristigen Trends und Moden macht, wird verwundert feststellen: Das gebenedeite Fax überlebt selbst seine Entfernung.
Denn etliche Arbeitgeber haben das jahrzehntelang bewährte Gerät ins Museum für Post und Telekommunikation gebracht. Dort im Standort Heusenstamm bei Frankfurt wird das Fax im Wandel der Zeit gefeiert. Andere bieten es bei Ebay zum Kauf an. Vielleicht hat jemand das gleiche Modell und benötigt dringend ein Gerät zum Ausschlachten. Sentimentale wie ich vermissen ihr Faxgerät wie die gehäkelten Gardinen an den Küchenfenstern meiner Kindheit. Ich wünsche mir ein Fax zu Weihnachten! Vielleicht findet sich ein Liebhaber, der eine historische multifunktionale Fax-Kommandozentrale (samt Telefon, SMS-Speicher und Ein-Zeilen-Display, inklusive Beleuchtung) gegen meinen alten Porsche 911 eintauscht. Dann melde Dich bitte, Grundgütiger!
Herzliche Grüße
Matthias Michael