Hausjuristen und Reputationsberater sind sich bisweilen uneins über das zielführende Tun bei Störfällen und in Krisen. Für welche Vorschläge sich das Management ausspricht, sagt etwas aus über die Unternehmenskultur

Wenn eine Organisation in Schwierigkeiten ist, fragt sie zunächst ihre Rechtsanwältin oder den Hausjuristen um Hilfe. Anwälte genießen hierzulande ein hohes Ansehen – besonders in der Wirtschaft. Für alle Verträge mit Kunden, Lieferanten und Dienstleistern sind sie zuständig, auch für rechtliche Streitigkeiten. Aber Krisenmanagement haben sie nicht gelernt. Und Kommunikation schon gar nicht. Deshalb erleben Unternehmensberater mitunter inhaltliche Differenzen, die den unterschiedlichen Perspektiven und Sozialisierungen von Reputations- und Krisenexperten einerseits und Juristen/Juristinnen andererseits geschuldet sind.

Meist tut sich ein Zielkonflikt auf. Der Hausjurist verfolgt das Ziel, eine rechtliche Auseinandersetzung zu gewinnen. So hat er oder sie das Handeln im Studium gelernt und im Berufsalltag jahrelang praktiziert. Dazu verhalten sich die Rechtsanwälte der zweiten Verfahrenspartei gegenüber oft formal und formell: distanziert, einseitig argumentierend und mitunter drohend. Von der anderen Seite werden sie nicht selten als Zumutung und Gegner wahrgenommen; als Folge nehmen beide Parteien dann eine entsprechend schroffe und unversöhnliche Haltung ein. Der Konflikt verschärft sich, es geht ums Gewinnen und Verlieren im Sinne eines Nullsummenspiels. Nicht immer, aber häufig beschreibt dies die Gemengelage, wenn ein Jurist das Vorgehen bestimmt.

Was ist wichtiger: einmal Recht zu haben
oder das langfristige Ansehen zu sichern?

Reputationsberater denken in anderen Kategorien als die Juristinnen: Ihnen geht es nicht nur um diesen einen Fall, sondern um das langfristige Ansehen und die dauerhafte, über Generationen steigende Wertentwicklung der jeweiligen Einrichtung.

Das bedeutet: Die Vertrauens-Experten empfehlen dem Mandanten mitunter, in einer Auseinandersetzung mit einer anderen Partei gänzlich „unjuristisch“ vorzugehen, um das beste Ergebnis im Sinne der eigenen langfristigen Reputation zu erzielen. Vielleicht ist ein Besuch bei der Klägerin oder dem Anspruchsberechtigten oder Kunden hilfreich, der sich als Geschädigter oder Gepeinigter oder irgendwie als Opfer fühlt. Vielleicht sollte man informell mit ihr oder ihm kommunizieren. Möglicherweise ist sogar eine Anerkennung in Form einer Sachleistung sinnvoll, um den Streit schnell, unbürokratisch und ohne kritische Öffentlichkeit zu beenden. Oder eine persönliche Bitte um Entschuldigung beim Anspruchsgegner. Oder eine außergerichtliche Zahlung. Oft jedenfalls erscheint ratsam, eine persönliche Beziehung zur Gegenseite aufzubauen. Manchmal lassen sich auf einer Vertrauensbasis gerichtliche Auseinandersetzungen vermeiden oder beilegen. So etwas kann auf einer persönlichen Basis vereinbart werden, wenn Groll vermieden wird.

Für ein solches Vorgehen haben viele Hausjuristen kein Verständnis, weil damit ein bestimmtes Risiko einhergeht. Man bringt nämlich dem Gegenüber Vertrauen entgegen, man öffnet sich, gesteht möglicherweise einen Fehler ein und zeigt sich demütig, großzügig, menschlich. Dies sind nicht unbedingt juristischen Kategorien. Deshalb tun sich die Juristinnen und Juristen in Auseinandersetzungen damit schwer. Aber sollten Unternehmen, öffentliche Träger und Verwaltungen nicht zunächst einmal ihren Bürgerinnen, ihren Kunden, Lieferanten und all den Menschen, mit denen sie täglich zu tun haben, mit einer positiven Unterstellung entgegentreten? Manchmal ist es hilfreich, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, die Situation von außen zu betrachten und nicht in erster Linie rechthaben zu wollen.

Der Mensch will vertrauen –
er ist ein soziales Wesen

In vielen Jahren als Störfallberater, als Konfliktklärer und als Lotse in schwierigen Situationen bei Dutzenden Organisationen habe ich eines gelernt: Vertrauen reduziert Komplexität. Meistens rechnet es sich, Menschen zu vertrauen. Denn Vertrauen zählt zur Humanität. Der Mensch ist deshalb ein soziales Wesen geworden, weil er von der Sekunde seiner Geburt an über etliche Monate hinweg anderen Menschen – Eltern, Geschwistern, Großeltern etc. – vertrauen musste, dass er trocken, warm, sicher und mit Nahrung versorgt werden würde. Es blieb ihm nichts anderes übrig. So entstand sein Urvertrauen. Darauf lässt sich aufbauen.

Nun muss sich die Führung der jeweiligen Organisation in der schwierigen Situation entscheiden: Welches Vorgehen ist zielführend? Der Jurist baut vielleicht auf Recht und Gesetz, der Reputationsberater auf Menschlichkeit und Empathie. Beide Wege haben Vor- und Nachteile. Die Entscheidung sagt etwas aus über das Menschenbild und das Selbstbild der betroffenen Einrichtung.

Herzliche Grüße, Ihr

Prof. Dr. Matthias Michael
Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Reputationsmanagement