Leitsätze eines reputationsfördernden Störfallhandelns und Chancen für fürsorgende Firmen
Die Qualität einer Organisation zeigt sich vor allem in schwierigen Situationen. Die Guten und Erfolgreichen können gerade dann beweisen, dass sie die Standards bestimmen – nicht zuletzt in Fragen der Moral. Das bleibt bei der Öffentlichkeit hängen und hilft folglich der Reputation. Die Corona-Krise erfordert Solidarität, betonen Politiker inzwischen landauf, landab. Sie adressieren damit zunächst die Bürger. Aber das Diktum gilt unbedingt auch für Unternehmen!
Nun wird es in allgemeinen Krisenlagen immer Kriegsgewinnler geben, die vom Leid anderer profitieren. Deren begehrliches Tun ist hier ausdrücklich nicht gemeint.
Ein positives Beispiel: das Verhalten des Reiseveranstalters TUI nach dem verheerenden Tsunami von 2004. Am zweiten Weihnachtsfeiertag donnerten mehrere Flutwellen über Küstengebiete von Thailand, Indien, Indonesien und andere Regionen in Südostasien. 230.000 Menschen starben, 1,7 Millionen Menschen rund um den Indischen Ozean waren sofort obdachlos. Der Krisenstab der TUI in Hannover reagierte schnell, errichtete ein Programm namens TUI Aid, charterte Flugzeuge, stellte Traumateams aus Medizinern und Psychologen zusammen, flog sie in die verwüsteten Küstenstreifen und holte verletzte und verstörte Urlauber nach Hause. Auch die Leichname von getöteten Menschen. Das Besondere: Die TUI beließ es nicht dabei, sich vorbildlich um die eigenen Kunden zu kümmern, sondern nahm auch Reisende anderer Veranstalter kostenfrei mit zurück nach Deutschland.
Darüber berichteten Druckmedien, Radio und Fernsehen weltweit. Die WirtschaftsWoche beispielsweise würdigte, TUI sei „seiner Rolle als Branchenprimus gerecht geworden“. Der Rheinische Merkur nannte den Konzern den „Retter der Reisenden“. Die zurückgeholten Urlauber und ihre Angehörigen bedankten sich auf Online-Plattformen – teils sehr emotional – fürs Kümmern, Helfen und Bergen. Das hat den Ruf der TUI als Garant für Qualität erhärtet.
Mit dem richtigen Handeln in schwieriger Zeit
werden künftige Erfolge programmiert
Als Kontrast dazu ein Beispiel für missglücktes Krisenmanagement: Als das Unternehmen des betrügerisch handelnden Frankfurter Bau-Moguls Jürgen Schneider 1994 Pleite ging und im Zuge dessen auch viele seiner beauftragten Handwerksunternehmen Insolvenz anmelden mussten, nannte der damalige Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper die 50 Millionen D-Mark umfassenden offenen Handwerksforderungen an Schneider nur „Peanuts“. Die Deutschbänker hatten zweifelhafte Bauprojekte von Schneider allzu lange maßgeblich finanziert – wie 54 weitere Banken übrigens auch. Mit der flapsigen Bemerkung offenbarte Kopper eine Haltung, und zwar eine Form von Hybris und Arroganz, die von ihm auf sein Unternehmen abfärbte. Im Zuge des Schneider-Zusammenbruchs hätten die Menschen vom größten Bankhaus des Landes stattdessen Solidarität, Empathie und eine gelebte Corporate Governance erwartet.
Aktuell macht der Bezahlsender Sky negative Schlagzeilen. Wie focus.de heute berichtet, zeigt der Sender „momentan keine Live-Übertragungen“, sondern vor allem Dokumentationen und Aufzeichnungen früherer Spiele: „Eine Reihe von Sportveranstaltungen wurde verschoben, aber nicht abgesagt, so dass wir erwarten, diese, wenn sie neu terminiert worden sind, zeigen zu können“, sagte Jacques Raynaud, Sport- und Vermarktungs-Chef bei Sky. „Wir sind uns bewusst, dass sich die Situation schnell entwickelt und arbeiten mit Hochdruck daran, auch weiterhin unsere Leistungen für alle unsere Kunden erbringen zu können.“ Solche Verlautbarungen werden empfunden als Wegducken, Beschwichtigen und Vertrösten. Damit kommt das Unternehmen seinen zahlenden Kunden keinen Millimeter entgegen und bietet akut keine Lösung an. Die Telekom, ein Sky-Wettbewerber, gibt zumindest bekannt, sie wolle ihren MagentaSport-Kunden „zunächst den Abopreis für einen Monat erstatten“.
Die BASF geht einen Schritt weiter: Wie Ludwigshafen24 und der Mannheimer Morgen heute übereinstimmend berichten, hat der Chemiekonzern angekündigt, Krankenhäusern voraussichtlich ab Ende dieser Woche kostenlos Hand-Desinfektionsmittel zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der begrenzten Produktionsmöglichkeiten sei die Abgabe auf Kliniken der Metropolregion Rhein-Neckar beschränkt. Auch der französische Luxusgüterkonzern LVMH hat berichtet, Desinfektionsmittel produzieren und dann kostenlos an Gesundheitseinrichtungen in Frankreich ausliefern zu wollen.
So geht es für Organisationen und deren Führer in Krisen – also in Störfallsituationen mit existentieller Dimension oder mit kritischer Öffentlichkeit – um die Deutungshoheit ihrer Rolle im Geschehen bzw. um die Perzeption des eigenen Tuns. Wer in einer solchen Situation wohlfeil kommuniziert über die eigene Unschuld und den trotzigen Übergang zum Tagesgeschäft, erzeugt bei vielen Menschen eine feinnervige Missbilligung. Vertrauen hingegen gewinnt, wer es schafft, als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems wahrgenommen zu werden. Insofern sind Krisen gute Möglichkeiten der Distinktion und des Aufbaus einer unwiderstehlichen Werte-Aura. Hier werden künftige Erfolge programmiert. Jeder Euro, den ein Unternehmen in einer Krise sinnvoll einsetzt, zahlt sich später hundertfach aus. Oder anders: In Krisensituationen sollte eine Organisation mehr tun als von ihr erwartet wird. Das festigt Vertrauen.
Ist der Code of conduct nur ein Papiertiger?
Anspruchsgruppen-Lyrik?
Betroffenen Firmen muss klar sein: Alle Postulate von Fürsorge, gesellschaftlicher Verantwortung, von Werten und ethischen Grundsätze werden jetzt auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft. Sind der Code of Conduct, die Führungsleitlinien, die Unternehmensmission, der sogenannte Purpose nur Papiertiger? Anspruchsgruppen-Lyrik? Deshalb kommt es in der akuten Krise aufs gemeinwohlorientierte Handeln an. Jetzt können sich Unternehmen profilieren und dokumentieren, dass sie ihre Werte tatsächlich leben. Diese DNA unterscheidet sie von Wettbewerbern, die nicht auf die Idee kämen, in einer solchen Situation aktiv zu werden für die am schwersten Betroffenen. Wenigstens für die Opfer in der direkten Umgebung des Unternehmens.
In Firmenkrisen sind ganze Belegschaften dankbar für jedwede Unterstützung. Sie detektieren sensibel wie ein Patient im Krankenhaus, wer sich meldet, wer kommt, wer Hilfe anbietet, wer anpackt, wer mit ihnen gemeinsam Lösungen entwickelt, z.B. Forderungen stundet. Aus Dankbarkeit und Verblüffung kommunizieren die krisengeschüttelten Betriebe danach noch jahrelang jede gute Tat, die ihnen geholfen hat. Und neben den glaubwürdigen Betroffenen loben auch moralische Autoritäten, beispielsweise Künstler, Kirchenfürsten, Politiker und Philosophen das hilfsbereite Unternehmen.
Was erwarten die Menschen jetzt
von den Markenmeistern und Vertrauenskönigen?
Was könnten Unternehmen heute tun, in Zeiten der Corona-Pandemie, um die Gesellschaft erkennen zu lassen, dass sie wirklich werteorientiert handeln, jederzeit? Was würden die Menschen erwarten von benevolenten Firmen, Markenmeistern und Vertrauenskönigen? Sechs Beispiele:
1. Der Lebensmitteleinzelhändler
Oftmals bewirtschaften Kaufleute selbstständig ihre Edeka- und Rewe-Märkte. Von den Discounter-Konzernen Aldi und Lidl könnten sie sich abgrenzen, indem sie bedürftige alte Menschen in den nächsten Wochen in ihren Wohnungen mit Lebensmitteln versorgen, ohne Lieferkosten aufzuschlagen. Oder sogar ganz kostenfrei.
2. Der Nahrungsmittelhersteller
Für Nahrungsmittelmarken gilt prinzipiell das Gleiche. In der Umgebung ihrer Standorte könnten sie herausfinden, welche älteren, kranken oder behinderten Menschen Zuhause sitzen und sich nicht nach draußen wagen. Gemeinsam mit sozialen Einrichtungen oder Einzelhändlern könnten sie eine lokale Initiative zur Versorgung und Betreuung der Bedürftigen starten.
3. Der Kommunikationsdienstleister
Stellen Sie sich vor, Telekommunikationsanbieter wie die Telekom, Vodafone oder O2 erkennen den erhöhten gesellschaftlichen Bedarf an Datenvolumina und bieten ihren Kunden entsprechend mehr Gigabyte davon an. Gratis! Wegen der Krise. Sie wollten kein Geschäft damit machen, sondern den Menschen helfen. So würden sie die Verbraucher allemal positiv verblüffen.
Social-Media-Plattformen können die Chance nutzen
und ihre beschädigte Reputation etwas reparieren
4. Das Industrieunternehmen
Messebauer haben gegenwärtig kaum mehr Aufträge; manch einer steht vor dem Ruin. Industrieunternehmen, die viele Jahre lang gute Erfahrungen mit ihren Messebaufirmen gemacht haben, könnten jetzt an diesen Beispielen versinnbildlichen, was ihre Code of conducts bedeuten, in denen es so oft um „Partnerschaft“, um „langfristiges gemeinsames Zusammenwirken und Wachsen“, um „Allianzen der Guten“ geht. Die Industrie kann beweisen, dass dies keine leeren Versprechungen und ihre Wertekataloge keine unbeachteten Theoriegebilde sind. Die Budgets für die Messebauer waren kalkuliert als Ausgaben in 2020. Selbstredend können sie nicht ohne Weiteres ohne Gegenleistung entrichtet werden. Also müssten Industrieunternehmen und Messebauer mögliche andere Aufträge eruieren: Die Handwerksfirmen können viele unterschiedliche Gewerke ausführen, beispielsweise Trockenbau- und Holzarbeiten, Streich- und Lackiermaßnahmen etc.
5. Die Kultureinrichtung
Stadttheater, Opernhäuser und philharmonische Orchester streamen Auftritte live und kostenfrei für die Öffentlichkeit. Das wird ihnen die Gesellschaft danken. Dadurch kommen womöglich auch weniger kulturaffine Menschen mit den Einrichtungen in Kontakt und bleiben den kennengelernten Theatern, Konzerthäusern und Kleinkunstbühnen treu. Gianna Nannini konzertiert im Wohnzimmer und streamt ihre Aufführung „gegen Corona-Einsamkeit“. Verlage lassen Lesungen und Autorengespräche übertragen. Ein James-Blunt-Geisterkonzert in der Hamburger Elbphilharmonie erleben 1,7 Millionen Menschen im Netz. Selbst der Papst lässt seinen Morgengottesdienst online stellen.
6. Die Social-Media-Plattform
Profiteure des wirtschaftlichen Shutdowns werden auch die bisweilen als „asoziale Medien“ bezeichneten Internetplattformen Facebook, Instagram, Twitter u.a. sein. Deren Reputation sinkt seit Monaten, sie stehen zunehmend als Steuervermeider, Datenweitergeber und Monopolistenkraken unter Beschuss.
Was die Gesellschaft jetzt bräuchte, wären wirkliche soziale Netzwerke und keine Foren für Hasser, Verleumder und Bedroher. Also könnten die Konzerne nun dokumentieren, wie sie tatsächlich sozial wirken, indem sie auf ihren Plattformen dazu aufrufen, dass sich krisengeschüttelte Firmen melden, ihre Situation beschreiben und von anderen Unternehmen oder Bürgern dann gebucht oder beauftragt werden können. Oder die US-Giganten unterstützen soziale Gruppen, die es auf ihren Plattformen schon gibt, in ihrer Arbeit für jetzt betroffene Familien und Firmen.
Von den Marktführern werden Richtmaße verlangt.
Auch für Werte und Haltung
In Krisen ist Solidarität gefordert. Das bedingt Engagement. Nicht nur von Menschen, sondern auch von Unternehmen. Sie können der Gesellschaft etwas von ihrem Erfolg zurückgeben und Vertrauen gewinnen als wichtiger Teil des Gemeinwohls – an guten, wie auch an schlechten Tagen.
Firmen, die sich hier hervortun und positiv auffallen, werden lange Zeit als Benchmark und als achtenswertes Stück Wirtschaft gewürdigt werden. Vorbildliches Tun in schwieriger Zeit trägt deshalb bei zu einem Ruf wie Donnerhall. Das betrifft ganz besonders die Marktführer. Von ihnen werden die Richtmaße für Qualität und eben auch für Werte und Haltung erwartet.
Herzliche Grüße
Matthias Michael
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Reputationsmanagement
michael@dgfr.online