Eine erfolgreiche Kanzlerin tritt bald ab – aber sie hat dringende Aufgaben vernachlässigt und immer wieder einen Sinn für Symbolik vermissen lassen

 

Heutige Kinder kennen ausschließlich Angela Merkel als politische Anführerin dieses Landes. Für die Jugend in Deutschland ist es normal, dass eine Frau die Richtlinien der Politik bestimmt. Schon deshalb war Merkels Kanzlerschaft ein Wert an sich. Das Bild von der arbeitenden Frau, die Führung zeigt, Verantwortung übernimmt, Macht einsetzt und dabei die Männer in den Schatten stellt, hat dem beruflichen Selbstverständnis der Mädchen und der Frauen hierzulande gutgetan. Jede Auszubildende und Studentin, jede Mutter und jede Arbeitnehmerin kann sich darauf berufen.

 

Merkel wirkte vor den Kameras in aller Regel unaufgeregt, unprätentiös, uneitel und wirklich an der Sache orientiert sowie jeglichem Glamour und Pathos abhold. Alles das unterschied sie wohltuend vom durchschnittlichen Mann in den Schaltzentralen der politischen Macht. Mit ihren Hosenanzügen, ihrer Handraute, ihrem spröden Charme war sie berechenbar. Mit ihren Entscheidungen nicht immer. Denn sie traf sie mitunter gegen die übergroße Mehrheit in ihrer Partei. Sie hat sich dann durchgesetzt gegen das Grummeln und Murren konservativerer Männer und Frauen, von denen solche mutigen Neubestimmungen nicht zu erwarten gewesen wären. Merkel hatte einen guten Sinn für den richtigen Zeitpunkt. Hin und wieder hat sie damit die Granden in der Union überrumpelt. 

 

Nach Fukushima nutzte Merkel das Momentum
und überrumpelte die Granden in der Partei

 

Beispiel 1: der Atomausstieg. Nach der Explosion der Reaktoren im japanischen Atomkraftwerk Fukushima postulierte die gelernte Physikerin im Namen der Bundesregierung und damit Deutschlands, aus dieser gefährlichen und nicht zukunftsfähigen Form der Energiegewinnung mit ihren verwundbaren und teils veralteten Großkraftwerken komplett auszusteigen. Das hatte zuvor noch kein Industrieland von dieser Größe gewagt. Die Kanzlerin hat den Entschluss womöglich einsam getroffen. Die Mehrheiten in ihrem Kabinett und ihrer Partei wären vermutlich dagegen gewesen. Aber Merkel ergriff die einmalige Chance und nutzte das Momentum, zumal sie wusste, dass mehr als vier von fünf Deutschen für den Atomausstieg und den schnellen Ausbau der regenerativen Energien waren. Wie sich heute zeigt, ist diese mutige Volte in der Energiepolitik – trotz aller Schwierigkeiten bei der Umsetzung – ein Segen für Deutschland gewesen. Das Land wird rund um den Erdball dafür geachtet. Wir sind das vertrauensstiftende Pilotprojekt für den Rest der Welt. Kaum irgendwo ist die Energieversorgung schon so weit auf regenerative Quellen umgesetzt wie hierzulande.

 

Merkel kannte immer die aktuellen Umfrageergebnisse. Sie machte eine Politik für die Mehrheit der Menschen. Und die CDU lernte von ihrer Parteichefin, dass die Bevölkerung liberaler geworden ist, weltläufiger, internationaler, umweltbewusster, pragmatischer, emanzipierter. Merkel zog ihre Partei hinter sich her und definierte die „Mitte“ weiter links als alle CDU-Vorsitzenden und -Kanzler vor ihr. Auf diese Weise sicherte sie Mehrheiten und machte den Spielraum enger für SPD, Linke und Grüne. Dass diese Strategie erfolgreich war, mussten auch ihre parteiinternen Kritiker einsehen.

 

Beispiel 2: die Öffnung der deutschen Grenze im Herbst 2015 für flüchtende Menschen aus Syrien, Nordafrika und dem Nahen Osten. Die vor Hunger, Armut, Gewalt und Krieg fliehenden Frauen, Männer und Kinder konnten in Deutschland Asyl beantragen und sich um ein befristetes oder dauerhaftes Bleiberecht bemühen. Merkel, Tochter eines evangelischen Pfarrers, ist hier ihrem Gewissen gefolgt und hat Menschlichkeit dokumentiert, als sie die Hilfesuchenden einließ. Die zur Schau gestellte Willkommenskultur für Tausende Grenzüberquerer symbolisierte ein reiches Deutschland, das sich humanistisch sehr abhebt von anderen Staaten, die sich teils bis heute strikt weigern, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. In dieser Situation nahm die Kanzlerin und Parteichefin das große „C“ im Namen wörtlich und bewies ein christliches Menschenbild, das jenseits von Opportunitäts- und Machtfragen gilt.

 

Die Selfies von glücklich angekommenen Flüchtlingen
mit der freundlich lächelnden Kanzlerin gingen um die Welt

 

Allerdings stimmte sich Merkel nicht rechtzeitig mit den anderen Staatschefs der EU ab. Indes ließ sie sich von und mit glücklichen Flüchtlingen in Selfies ablichten und unterschätzte die Symbolik und damit die Wirkung der freundlichen Fotos. Weltweit schüttelten Politiker die Köpfe über diese kommunikative Naivität, die zu einer steigenden Zahl von Flüchtlingen mit dem Ziel Deutschland führte. Deutschland und Europa haben die Grenzen inzwischen wieder weitgehend abgeriegelt. Zusätzliche Flüchtlinge sind kaum noch willkommen. Um ein solides und funktionierendes Einwanderungsgesetz hat sich Merkel – ebenso wie ihre Partei – zu lange gedrückt. Die CDU/CSU hat jahrzehntelang den Begriff Einwanderungsland tunlichst vermieden und das Thema negiert. Man wollte die Realität nicht anerkennen. Inzwischen sieht der Koalitionsvertrag von Union und SPD von 2018 ein Einwanderungsgesetz vor, mit dem der Zuzug von qualifizierten ausländischen Fachkräften gefördert werden soll.

 

Die anderen Staatschefs der EU vermochte Merkel nicht dazu zu bewegen, einen einheitlichen Rahmen für den Umgang bzw. die Aufnahme von Kriegs-, Terror-, Armuts- und Wirtschaftsflüchtlingen zu verabschieden. Europa hat kein Regelwerk in dieser wichtigen Frage. Vor allem die osteuropäischen Staaten weigern sich, überhaupt Flüchtlinge in ihren Ländern aufzunehmen. Solidarität, Austausch und Zusammenhalt funktionieren in dieser Angelegenheit nicht. Die Kanzlerin wirkte auf europäischer Bühne beim Thema Immigration hilflos, nicht integrierend, nicht argumentationssicher, nicht überzeugend und nicht kampfbereit gegen Hardliner wie den Ungarn Victor Orban und den Polen Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der regierenden PiS-Partei.

 

Kreise in der Union werfen Merkel seit der Entscheidung für die Aufnahme der Flüchtlinge vor, damit die politischen Erfolge der AfD ermöglicht zu haben. Die Rechtsaußen-Partei sitzt inzwischen in allen 16 Landtagen, teils mit zweistelligen Wahlergebnissen. Die Geschichte wird zeigen, ob diese Ein-Thema-Partei eine Zukunft hat, sobald ein Großteil der Flüchtlinge entweder zurückgekehrt sein wird in die Heimatländer oder sich in den Arbeitsmarkt in Deutschland integriert haben wird. Einstweilen sollten die anderen Parteien alles dafür tun, diese Aufgabe mit Mitteln, Ideen und Engagement umzusetzen. Dann würde die Partei der Frustrierten, der Ängstlichen, der Pöbler und Hetzer, die die Ärmsten und Schwächsten gegeneinander ausspielen will, in den Parlamenten keine Zukunft haben.

 

Unabhängig von ihrem Fleiß und ihrem Sinn für den richtigen Moment und unabhängig von der wirtschaftlichen Blüte Deutschlands hat Merkel etliche Politikbereiche vernachlässigt. Sie war keine Visionärin, die eine Idee für das künftige Europa entworfen hat, wie das der französische Präsident Emanuel Macron tut. All seine Vorschläge drohen zu versanden, weil sie sich nicht rechtzeitig aufraffen konnte, seine Ideen gemeinsam mit ihm und anderen europäischen Staatschefs voran zu treiben. Sie selbst hat keine zukunftsweisenden Konzepte für Europa entwickelt, obwohl dies im elementaren Interesse Deutschlands läge, weil die Volkswirtschaft enorm vom EU-Binnenmarkt profitiert. Als große Europäerin wird Merkel nicht in die Geschichte eingehen.

 

Die überhastete EU-Aufnahme von Staaten, die ihre Zahlen frisiert hatten, um möglichst schnell beitreten zu können, war ebenso folgenreich wie Merkels viel zu lasche Haltung den deutschen Autokonzernen gegenüber. Auch hier büßte sie international Kredit und Glaubwürdigkeit ein. Sie nahm Rücksicht auf die kurzfristigen Interessen der Manager und vernachlässigte die Interessen der Bürger, der Stadtbewohner, der Fahrradfahrer, der Fußgänger, der Kinder und alten Menschen, der vielen Millionen Anwohner von Durchfahrtsstraßen, der Menschen mit Atemwegserkrankungen und der Umweltbewussten. Merkel hat völlig falsch eingeschätzt, wie groß der Frust der Bürger ist angesichts der giftausstoßenden und übermotorisierten Boliden mit ihrem Dauerfeuer an Stickoxiden, CO2, Feinstaub und anderen Giften. Die Autolobby wusste die Kanzlerin auf ihrer Seite.

 

Der Kanzlerin fehlte eine Vision
für die Mobilität der Zukunft

 

Selbst als der Riesenbetrug mancher Autofirmen mehr und mehr bekannt wurde, wonach sie Abschalteinrichtungen entwickelt und in ihre Fahrzeuge eingebaut hatten, mit dem Ziel, die Schadstoffvorgaben zu unterlaufen, griff die Regierung nicht durch. In der Konsequenz wurden die europäischen Grenzwerte von deutschen „Premium“-Autoherstellern teils um ein Vielfaches überschritten. Teile der Autoindustrie haben über Jahre hinweg gelogen, betrogen, getrickst und getäuscht – nur um des Profits willen. Sie waren damit wirtschaftlich super erfolgreich. Aber zigtausende Menschen starben vorzeitig an den Folgen, wie Studien belegen. Trotzdem reagierte die ehemalige Bundesumweltministerin merkwürdig zurückhaltend. Sie erkannte die Dimension dieses Themas nicht: Der größte Wirtschaftsskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte entwickelte sich zu einem Symbol für eine verfehlte Umwelt- und Verkehrspolitik ihrer Regierung. Die Menschen begriffen und begreifen das Reden und Handeln der Merkel-Regierung beim „Diesel-Gate“ als Schutz für kriminelle Manager zum Nachteil der beeinträchtigten Bürger.

 

Im Ganzen fehlte der Kanzlerin eine Vision für die Mobilität der Zukunft. Mal sprach sie von einer Million Elektroautos im Jahr 2020 auf deutschen Straßen, dann tat sie aber kaum etwas, damit das Ziel hätte erreicht werden können. Mit einer klaren Vorstellung von der mobilen Zukunft hätte sie Richtungsentscheidungen treffen, Förderungen definieren und Initiativen voranbringen können. Aber stattdessen vertraute sie offenbar den Verlautbarungen der Konzernbosse und deren Verbandsvertretern, die allesamt eigene monetäre Interessen vertraten. Deshalb gibt es noch immer keine flächendeckende Infrastruktur für die Elektromobilität in Deutschland. Es fehlt an einheitlichen Standards, an Ladestationen und in der Folge an einem Zuspruch der Bürger und der Firmen zur neuen elektrischen Autowelt. Auch wegen der ausgebliebenen grundlegenden politischen Unterstützung der Post-Verbrenner-Mobilität hinkt die deutsche Automobilindustrie der Konkurrenz aus China, Korea, Japan und den USA viele Jahre hinterher.

 

Ganz ähnlich die Situation bei der Digitalisierung. Noch immer gibt es Gemeinden in Deutschland ohne schnelles Internet. Das ist eine Katastrophe für alle Gewerbetreibenden dort – und natürlich auch für die Verwaltung. Solche Nachlässigkeiten darf die Politik nicht der Entscheidung von kommerziellen Unternehmen wie der Deutschen Telekom AG überlassen. Vielmehr muss sie selbst dafür sorgen, dass es bundesweit einheitlich Standards beim Infrastrukturausbau gibt. Auch und gerade in ländlichen Gegenden. Dass das Wohl und Wehe einer Volkswirtschaft von ihrem Grad der Digitalisierung abhängt, sollte sich bis ins Kanzleramt herumgesprochen haben. Insofern war die Vernachlässigung des Ausbaus der Digitalnetze ein Fehler, der Deutschland teuer zu stehen kommen könnte.

 

Von einer Angleichung der Lebensbereiche
in den Städten und auf dem Land kann keine Rede sein

 

Im Grundgesetz ist die Rede davon, dass „gleichwertige Lebensverhältnisse“ in den Metropolen und in den ländlichen Gebieten angestrebt werden sollten. Die Politik hat dieses Gebot offenbar nicht ernst genommen. Sonst hätte es wirksame Initiativen beispielsweise zum Ausbau des schnellen Internets in der Peripherie gegeben. Oder zur Verbesserung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung durch den Aufbau von Landes- und Bundesämtern und anderen Behörden in strukturschwachen Gebieten. Oder zur Etablierung von Hochschulen. Wirkungsvolle Strukturförderungen könnten die Ansiedlung von Industrie- und Dienstleistungszentren weit abseits der Städte anregen. Alles das hätte geholfen, die eklatanten Missverhältnisse zwischen Stadt und Land ein wenig auszugleichen, so dass nicht immer weiter die übergroße Mehrheit der jungen Menschen dem Land den Rücken gekehrt hätte. Weil hier viel zu wenig geschehen ist, haben sich die Spannungen verstärkt. Sowohl in den Städten (Teuerung, Wohnungsnot, Luftverschmutzung, Lärm, Aggressivität, Kriminalität, Verkehrsstaus etc.) als auch auf dem Land (Vergreisung, Verödung, Immobilienzerfall und -leerstand, wirtschaftlicher Niedergang, Arbeitslosigkeit, Depression, sinkende Haushaltseinkommen etc.). Auch dieses Thema wurde in Merkels langer Kanzlerschaft nicht grundlegend angepackt. Die Menschen spüren die resultierenden Spannungen und haben großes Interesse an der besagten Angleichung der Lebensverhältnisse. Vielversprechende Initiativen der Bundesregierung? – Fehlanzeige!

 

Ein weiteres Beispiel für Angela Merkels fehlendes Verständnis für Symbolik war ihr Umgang mit dem ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen: Man sollte einen Spitzenbeamten, der erkennbar und öffentlich Fehler gemacht hat, nicht dafür belohnen und ihn befördern und sogar noch als Staatssekretär ins Bundeskabinett einziehen lassen. Legal ist das selbstverständlich möglich, aber es wird nicht als legitim empfunden. So etwas tut man nicht. Allein wegen Maaßens Amt als Geheimdienst-Chef war dies keine Petitesse. Eine solche politische Ignoranz ist heutzutage nicht mehr vermittelbar, das hätte Merkel wissen müssen.

 

Noch ein Symbol, das an Merkels Instinkten zweifeln lässt:       Wer wählt schon gern Tierquäler?

 

Auch beim Thema Steuern fehlte ein großer Wurf. Die Menschen haben zunehmend das Gefühl, dass die Konzerne Wege finden, um keine oder nur sehr geringe Steuern zu zahlen, sie selbst aber hoch belastet werden. Hier hätten viele Menschen von Merkels Bundesregierungen europäische und nationale Initiativen erwartet. Eine einheitliche Umsatzbesteuerung auf internationale Konzerne, die in der EU viel verdienen, aber ihre Gewinne in Steueroasen wie Irland bilanzieren, hätte die Gemüter beruhigt und für einen Geldsegen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, Großbritannien, Italien und anderen Staaten gesorgt. Zudem wären eine Vereinfachung des Steuersystems in Deutschland und die Abschaffung des Solidaritätsbeitrages wichtige Signale bzw. Symbole für die Leistungsbilanz und -qualität einer Bundesregierung gewesen. Aber Steuerfragen sind abstrakt und schwierig und für Politiker deshalb offenbar wenig attraktiv. Gleichwohl gibt es eine gesteigerte Unzufriedenheit der Menschen über die Ungerechtigkeiten der Besteuerung von Arbeitnehmern einerseits und Konzernen andererseits. Die Bedeutung dieses Risikothemas zu erkennen, hätte der Reputation der Kanzlerin, ihrer Partei und Regierung genutzt.

Ein neues Beispiel für das fehlende Verständnis von Symbolik und für den enormen Reputationsverlust der jetzigen Bundesregierung ist der Umgang mit der Ferkelkastration in Deutschland. Männliche Ferkel können einen Geruch entwickeln, der Verbraucher davon abhält, das Fleisch zu kaufen. Deshalb werden die Tiere vorsorglich wenige Tage nach ihrer Geburt kastriert – und das geschieht noch immer ohne Betäubung. Die Politik hatte der Landwirtschaft eine fünfjährige Übergangszeit gewährt, um eine Lösung zu entwickeln, beispielsweise eine Impfung oder eine Betäubung. Beides wäre möglich. Der Handel und die Verbraucher würden die wenigen Euro pro Tier aufbringen, wenn es eine klare Ansage der Politik gäbe. Aber die Groko ist eingeknickt und hat der Landwirtschaft jetzt eine Fristverlängerung um weitere zwei Jahre eingeräumt. Die Tiere dürfen also weiter gequält werden. Das ist nicht vermittelbar und ein politischer Fehler, der die Menschen zweifeln lässt an der Zivilisiertheit dieser Regierung. Und die Landwirtschaft hat sich damit ebenfalls keinen Gefallen getan. Denn das eigentlich kleine Thema dient ihren Gegnern als Symbol für Arroganz, Ignoranz, Skrupellosigkeit, Profitgier und Ruchlosigkeit. Wer so etwas beschließt, denken die Bürger, dem ist nicht mehr zu helfen. Wer wählt schon gern Tierquäler?

Dass diese Bundesregierung nicht mehr weiß, was zum Wohl des Volkes ist, dokumentierte sie im November 2018. Merkel und ihr Kabinett beschlossen, die größten automobilen Dreckschleudern dürften auch dann weiter ihre Gifte emittieren und die belasteten Innenstädte befahren, wenn die Grenzwerte für Stickoxide bis zu 25 Prozent überschritten werden. Das ist ein Offenbarungseid. Die Regierung traut sich augenscheinlich nicht, den Automobilherstellern mit Vorgaben zu verdeutlichen, dass saubere Motoren – beispielsweise Elektro- und Wasserstoffantriebe – benötigt werden, um die maßgeblich von dreckigen Verbrennern verpestete Luft in den Städten wieder sauberer werden zu lassen. Europäische Grenzwerte, die ihr nicht passen, will sie nach Gutdünken nach oben erweitern. Mit diesem Versuch wird sie vor den Gerichten scheitern. Die Taktik ist erkennbar durchsichtig, sie wirkt hilflos. Von den politisch Verantwortlichen sollte erwartet werden, dass sie gestalten und nicht versuchen, sich ihre eigene Wirklichkeit zu schaffen.

Angela Merkel hat ihre Stärken zum Wohle Deutschlands grandios ausgespielt. Aber aus Sicht einer professionellen Vertrauens- und Ansehenssteuerung lässt sich festhalten: Eine Regierung sollte persönliche Schwächen ihrer Spitzenkräfte kompensieren, Dazu benötigt sie ein strategisches Reputationsmanagement mit Sinn für Symbolik, die Stimmung der Menschen und das so wichtige Themen- und Risikomanagement. Das gilt für die Politik ebenso wie für jeden Konzern.