Die Wirtschaft konsolidiert sich zunehmend nach den Kriterien von Nachhaltigkeit

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Einer meiner beruflichen Lehrer sagte in Abständen: „Qualität kommt von Qual!“ Er war ein intelligenter Mann, aber er konnte einem solchen Bonmot nicht widerstehen. So mag es auch dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt ergangen sein, als er sein vielzitiertes „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ kolportierte. Beide Sätze sind unterkomplex, sie legen falsche Fährten.

Denn kaum etwas brauchen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mehr als Visionen von einer guten und richtigen Welt von morgen. Und: Qualität kommt nicht von Qual, sondern von Leidenschaft! Leidenschaft wiederum wurzelt in Orientierung und Humanität.

Vielerorts müssen neue Produkte
nachhaltiger wirken als die alten

Dass man für Qualität meist Willensstärke, Durchhaltevermögen und Ausdauer benötigt, trifft auf manche Lebensbereiche gewiss zu, auf den Sport und die Musik etwa. Hier gilt: Unabhängig vom Talent wird derjenige erfolgreicher, der mehr und länger trainiert. Das haben viele Studien belegt. Dabei missverstehen Laien ein intensives Training mitunter als Quälerei. Möglicherweise bringt das beständige körperliche Üben dem Sportler und der Musikerin Genugtuung, Selbstachtung, Anerkennung, psychische und physische Stärke. Keine Spur von Qual.

Wenn jemand seine Arbeit gern macht und deshalb freiwillig länger an einem Projekt tüftelt, wird er sein Tun nicht als Qual empfinden. In vielen Unternehmen versuchen die Qualitätsverantwortlichen, Grundstoffe, Produkte, Leistungen und Abläufe messbar zu verbessern. Das geschieht etwa, wenn eine Ware weniger Müll produziert, weniger Verpackung benötigt, weniger Giftstoffe enthält oder eine zusätzliche nutzbringende Eigenschaft vorweist. Zudem ist die Qualität eines Produktes dann besser, wenn es bei weniger Energieeinsatz für die Herstellung länger nutzbar bleibt als das Vorgängermodell. Manches Unternehmen hat sich dazu verpflichtet, ausschließlich neue Produkte auf den Markt zu bringen, die nachhaltiger sind als die vorherigen Versionen. Darüber geben die Hersteller Auskunft, z.B. in ihren Nachhaltigkeitsberichten. Auf den jeweiligen Verpackungen können sie zusätzlich damit werben.

Firmen, die die Natur und die Gesundheit von Menschen schädigen,
werden neue Geschäftsmodelle etablieren müssen

All dies sind wohltuende Entwicklungen. Künftig wird sich die Wirtschaft nach den Kriterien von Nachhaltigkeit konsolidieren. So legt beispielsweise die Grundlagennorm DIN EN ISO 14001 die Anforderungen für die Einführung eines Umweltmanagementsystem in Unternehmen fest. Entsprechend weitergehende deutsche und internationale Nachhaltigkeitsnormen werden gegenwärtig entwickelt, ähnlich wie die für Qualität im Jahr 2000, als die EN ISO 9000 für Qualität herauskam. Die Leitlinien der Global Reporting Initiative (GRI) haben sich als internationaler Standard für Nachhaltigkeitsberichte und Nachhaltigkeitskommunikation etabliert.

Das bedeutet en gros: Unternehmen, die den Nachweis versäumen, dass sie und ihre Leistungen die Natur und die Gesellschaft bzw. die Gesundheit der Menschen nicht schädigen, werden über kurz oder lang ihre Geschäftsmodelle verändern bzw. neue entwickeln müssen. Andernfalls verlieren sie womöglich ihre Existenzberechtigung. Das erscheint gut und segensreich so in der Ära der Naturzerstörung, des Artensterbens und des sichtbaren, fühlbaren und messbaren Klimawandels.

Manche Manager glauben, Nachhaltigkeit sei eine Mode
und die Wirtschaft ihr Opfer

Trotzdem glauben viele Manager und Unternehmer noch immer, Nachhaltigkeit sei ein Trend, eine Mode, und die Wirtschaft sei ihr Opfer. In ein paar Jahren entdecke die Gesellschaft ein neues, wichtigeres Thema, dann spreche und berichte womöglich kaum mehr jemand über Nachhaltigkeit. Wie in den 1980er Jahren beim Waldsterben oder bei der Rinderseuche BSE – alles Schnee von gestern. Im Moment beispielsweise dreht sich der öffentliche Diskurs vorwiegend um die Migration, die große Völkerwanderung, um die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, um die Zukunft des Miteinanders zwischen reichen und armen Ländern und Menschen. Vor diesem Hintergrund sei das Gerede von der Nachhaltigkeit nicht mehr als Lyrik, mäkeln die Zweifler. Aber solche scheinplausiblen Annahmen entbehren einer Logik, die langfristige Perspektiven berücksichtigt.

In wenigen Jahren werden internationale Nachhaltigkeitsnormen für alle Betriebe gültig sein, und zuerst für die Industrie. Fondsgesellschaften, die etwas auf sich halten, bieten ihren Investoren längst Nachhaltigkeits-Fonds und -Indices an, in denen ausschließlich Unternehmen aufgenommen werden, die sich durch eine nachweislich ethische Geschäftspolitik auszeichnen. Die Kriterien dafür definieren die Fondsanbieter indes noch recht unterschiedlich. Auch hier fehlen Richtlinien. Unternehmen werden sich mit Nachhaltigkeitsrankings auseinandersetzen müssen. Weil gegenwärtig kein global anwendbares Regelwerk existiert, sind die Firmen aufgerufen, selbst ihren Wertekanon zu definieren und dessen Einhaltung nachzuweisen.

Forschungsintensive und innovative Firmen behaupten sich
im Hochlohn-Deutschland gegen die weltweite Konkurrenz

Fast alle Branchenführer in Deutschland produzieren Nachhaltigkeitsberichte, in denen die CO2-Fußabdrücke ihrer Produkte, Leistungen und Unternehmen berechnet und Ziele für eine weitere Reduzierung in den nächsten Jahren formuliert sind. Manche Unternehmen versuchen, CO2-ausgeglichen zu produzieren, also tatsächlich durch Energiegewinnung und Begrünung bzw. Renaturierung mehr CO2 zu binden als freizusetzen. Banken prosperieren, die kaum anderes anbieten als Anlagen in sozial vorbildliche Projekte. VW investiert Milliarden in seine Elektroauto-Produktion, Alnatura, Denns und Vollcorner boomen weiter, Thyssen will Stahl ausschließlich aus erneuerbarer Energie produzieren, selbst die Kohle- und Gaskonzerne Eon und RWE sehen sich gezwungen, ihre Angebote für Strom aus regenerativen Quellen radikal auszubauen.

Dass der Kohleabbau keine Zukunft hat, lernt jedes Kind in der Schule. Auch personal- und energieaufwendige Branchen wie die Textil-, die Glas- und die Porzellanindustrie haben den Strukturwandel erlebt und konsolidieren weiter. Forschungsintensive und innovative Unternehmen können in diesen Sektoren überleben. Für sie ist die Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen – wirtschaftlich, sozial und ökologisch sowie zusätzlich ethisch/kulturell/demokratisch – zur Unternehmensmaxime geworden. So behaupten sie sich im Hochlohn-Deutschland gegen die weltweite Konkurrenz.

Der Schutz von Gesellschaft, Umwelt, Ressourcen und Klima
wird zur Maxime jedes Wirtschaftens

Für die nächsten Generationen wird ein Leben mit elektrisch fahrenden Autos und mit elektrischen Heizungsanlagen selbstverständlich sein, die mit Strom aus Windrädern, Wasser-, Wellen-, Tiedenhub- und Erdwärmekraftwerken sowie Solaranlagen betrieben werden. Kohlekraftwerke wandeln sich zu Museen, ebenso Passagierschiffe, deren Motoren mit Schweröl angetrieben wurden. Porsches, Maseratis und Harley Davidsons werden babyschlaffreundlich über die Straßen zischen, sofern sie ihre Antriebstechnik rechtzeitig umstellen. Plastiktüten und Ölheizungen werden das Schicksal mit Schallplatten teilen, der Industriezweig für schnell verrottende Verpackungen wird eine Blüte erleben. Jede Form der Umweltverschmutzung wird staatlich sanktioniert sein, so dass es sich nicht mehr lohnen wird, auf Kosten von Wasser, Luft und Boden zu produzieren – und damit zu Lasten der Gesellschaft. Alles das ist international eingeleitet, absehbar und unumkehrbar. Das rousseau’sche Ideal, wonach der Mensch von Natur aus gut ist, könnte irgendwann auch für Unternehmen gelten.

Die Menschheit hätte früher handeln können, sollen, müssen. Der Club of Rome hatte Anfang 1972 seinen legendären Bericht zur Lage der Welt mit dem Titel Die Grenzen des Wachstums vorgelegt. Darin prognostizierten damals führende Wissenschaftler diverser Disziplinen viele wirtschaftliche, soziale und ökologische Wirkungen und Phänomene, die inzwischen großenteils eingetreten sind. Aber die internationale Politik hat die Warnungen der Fachleute jahrzehntelang kaum beachtet.

Wer den Wind spürt,
sollte Segel setzen

In Summa: Nachhaltigkeit ist keine Mode, sondern die einzige langfristige Perspektive für Unternehmen. Der alte Irrglaube vom beständigen quantitativen Wachstum unter Ausbeutung fossiler Ressourcen kann nicht mehr die Maxime künftigen Wirtschaftens sein. Vielmehr reklamiert das Paradigma der Ökonomie des 21. Jahrhunderts den Schutz von Gesellschaft, Umwelt, Bodenschätzen und Klima. Bei der Produktion jedes Smartphones, Kleidungsstücks, Hauses und Essens werden auch jene Umwelt- und Sozialkosten veranschlagt und dem Hersteller in Rechnung gestellt werden, die mittelbar anfallen. Wer dann noch immer die weiter verteuerten fossilen Brennstoffe oder nicht wiederverwertbare Kunststoffe verbraucht, wird nachweisen müssen, dass er diese Verschmutzung zeit- und ortsnah überkompensiert.

Die EU hat die Zeichen der Zeit inzwischen erkannt, ihre Taxonomie-Verordnung ist seit Januar 2022 in Kraft. Sie verpflichtet kapitalmarktorientierte Unternehmen ab einer Größe von 500 Beschäftigten zu einer umfangreicheren Nachhaltigkeitsberichterstattung, vor allem über die beiden Ziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel.

In der gegenwärtigen Zwischenphase steckt die Wirtschaft in einer moralischen Akzeptanzkrise. Unternehmen können beweisen, dass Markt und Moral keine Gegensätze sind, sondern zum Wohle aller zusammenwirken. Produktion und Dienstleistung sind aufgefordert, der Gesellschaft ethische und soziale Orientierung zu geben, sozusagen als verantwortungsvolle Unternehmensbürger. Wer den Wind spürt, sollte rechtzeitig Segel setzen. Demgemäß tut die Wirtschaft gut daran, Qualität heute differenzierter zu definieren.

Herzliche Grüße

Matthias Michael