Jede Organisation kann ihren Bestand langfristig sichern und ihren Wert steigern, sofern sie sich beständig zum Positiven wandelt

Klingt sperrig, bedingt und orchestriert aber wesentlich den unternehmerischen Erfolg: das Reputationsmanagement. Der Begriff findet zunehmend Eingang in die Management-Etagen der deutschen Industrie. Jeder wirtschaftlich Interessierte weiß, dass die Reputation einer Organisation ihr wichtigstes immaterielles Vermögen darstellt. Unternehmen, denen nicht mehr vertraut wird, verschwinden vom Markt. Aber wie organisiert man eine glänzende Reputation?

Nehmen wir zwei aktuelle Fälle aus dem Dax: Die Lufthansa und Wirecard sind existenzbedroht. Bei der Lufthansa hat der Bund einen zwanzigprozentigen Anteil für neun Milliarden Euro übernommen, weil die größte Airline Deutschlands infolge der coronabedingten Umsatzverluste insolvenzgefährdet war.

Der Finanzdienstleister Wirecard hat ziemlich emergent am 25.6.2020 Insolvenz angemeldet. Wirtschaftsprüfer und Medien gehen inzwischen von einem Betrug im großen Stil aus. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt wegen des Verdachts der Marktmanipulation, der Bilanzfälschung und weiterer Delikte. Der Vorstandsvorsitzende Markus Braun musste seinen Hut nehmen, sein Vorstandkollege und Adlatus Jan Marsalek ist untergetaucht. In der Bilanz 2019 hatte Wirecard den Wirtschaftsprüfern von EY Rücklagen von 1,9 Milliarden Euro ausgewiesen, die auf Treuhandkonten zweier philippinischer Banken liegen sollten. Das Geld – rund ein Viertel der Bilanzsumme – hat es offenbar nie gegeben.

Wirecard nährte die Hoffnung auf einen
digitalen Champion aus Deutschland

Wie die Zukunft von Lufthansa und Wirecard aussieht, das hängt wesentlich von ihrer Reputation ab. Die ist bei der Lufthansa exzellent, weil das Management eine der größten und wirtschaftlich erfolgreichsten Fluggesellschaften aufgebaut hat. Auch weil die Lufthansa ihr Personal immer gut bezahlt hat, weil sie den strahlenden Zusammenschluss Star Alliance mitgegründet hat und weil die Marke seit den 1970er Jahren nicht von Absturzkatastrophen betroffen war – mal abgesehen von dem vorsätzlichen Crash 2015 in den französischen Alpen durch einen depressiven Kopiloten bei der Tochter Germanwings.

Auch Wirecard ist ein wichtiges Unternehmen. Der Konzern, der 2018 in den Dax aufstieg, nährte hierzulande die Hoffnungen auf einen neuen internationalen Tech-Giganten aus Deutschland – ein zweites SAP. Außer dem Walldorfer Konzern kann diese Volkswirtschaft in der neuen digitalen Welt kaum einen Global Player vorweisen. Es gibt zwar mehrere Hundert Finanztechnikunternehmen zwischen Flensburg und Freilassing, aber keines hat sein Einhorn-Potenzial so dokumentiert wie Wirecard. Die Finanzbranche in Deutschland hat in den vergangenen Jahren stark an Wert und an Ansehen eingebüßt. Aus diesen Gründen wurde Wirecard seitens des Staates, der Börse und der Aktionäre mit allem verfügbaren Wohlwollen und großer Erwartung begleitet.

Die öffentliche Meinung folgt meist
der veröffentlichten

Gleichwohl ist der Bund nicht auf die Idee gekommen, Wirecard mit Milliardensummen zu stützen und am Leben zu erhalten, selbst wenn die transferierten Beträge vermutlich weit geringer gewesen wären als bei der Lufthansa.

Wirecard hat seine erratische Reputation zu lange vernachlässigt. Immer wieder kam es nach kritischen Medienberichten (vor allem der britischen Financial Times) zu Kursstürzen, von denen sich der Zahlungsdienstleister zwar stets erholen konnte. Aber die negativen Anspielungen nahmen kein Ende. Der Spiegel schrieb am 18.6.2020: „In den ersten Jahren verdiente das Unternehmen sein Geld vor allem mit der Abwicklung von Zahlungen im Online-Porno und -Glücksspielgeschäft. Dort gab es die größten Gewinnmargen“. Wirecard habe in rasantem Tempo in Schwellenländern rund um den Globus expandiert, „wo die Geschäftspartner mitunter weniger seriös und die Kontrollen laxer sind“.

Dass das allgemeine Vertrauen in das Unternehmen und seine Führung unter diesen Talfahrten leiden würde und dass es mit einem zweifelhaften Ansehen bei einer nächsten Krise auch zu existenzbedrohenden Dimensionen kommen könnte, musste den Verantwortlichen in Aschheim bei München klar sein. Aber sie haben nicht viel Erkennbares, allenfalls Dysfunktionales, für eine bessere veröffentlichte Meinung getan. Und die öffentliche Meinung folgt meist der veröffentlichten.

Sympathie ist eine wichtige Kategorie
beim Reputationsmanagement

Wer nicht sympathisch und engagiert ist, dem vertraut man nicht. Was bei menschlichen Beziehungen gilt, das trifft auch auf den Umgang mit Organisationen zu. Wirecard genoss in der Öffentlichkeit niemals irgendwelche Sympathieboni.

Wir Menschen haben die Neigung, uns mit Personen und Marken zu umgeben, die wir als angenehm empfinden. Deshalb sind Sympathie bzw. eine Neigung zur Identifizierung mit einer Organisation immer auch wichtige Kategorien des Reputationsmanagements. Die jungen Generationen vertrauen Organisationen, mit denen sie sich identifizieren können, die also die gleichen Ziele verfolgen wie sie selbst. Da steht an erster Stelle, die Umwelt zu schützen, die befürchtete Klimakatastrophe zu bekämpfen, für einen gerechteren Ausgleich mit ausgebeuteten Menschen zu sorgen und so insgesamt die Zukunft zu gestalten.

Wikipedia beschreibt Reputation (lat. reputatio „Erwägung“, „Betrachtung“) als „Ansehen einer Person, einer sozialen Gruppe oder einer Organisation. Reputation ist ein Indiz dafür, wie sich jemand zukünftig verhalten wird, und erleichtert in diesem Zusammenhang zu treffende Entscheidungen. Reputation beruht auf Vertrauen und Glaubwürdigkeit, manchmal auch auf Glaube.“

Ohne Reputation
stirbt jede Organisation

Wir bei der DGfR verstehen unter Reputationsmanagement den Aufbau und die Gestaltung von Vertrauen mit dem Ziel der langfristigen Existenzsicherung und Wertsteigerung einer Organisation. Die kollektive Anerkennung, die sich in der Reputation ausdrückt, ist der wichtigste Wert einer Organisation. Dadurch gewinnt sie eine diskursive Definitions- und Deutungsmacht über die sie betreffenden Themen. Ohne Reputation nehmen alle Anspruchsgruppen nacheinander Abstand, die Organisation stirbt.

Dieses Szenario beschäftigt fast jedes Unternehmen. Unsere Kunden nennen uns seit einigen Jahren zwei Gefahren, die sie meistern müssen. Erstens fürchten sie, nicht Anschluss halten zu können an die technische bzw. digitale Entwicklung. Kleinere Wettbewerber könnten ihr Geschäftsmodell torpedieren, ihnen Kunden abjagen, schneller auf Verbraucherwünsche und gesellschaftliche Veränderungen eingehen und sie so ausbooten.

Unternehmen fürchten Vertrauensverluste
und die Folgen des beschleunigten technischen Wandels

Zweitens mutmaßen sie, einen Markenschaden erleiden zu können, also einen Reputationsverlust. Das glänzende Logo könne Kratzer abbekommen, das Unternehmen an Strahlkraft verlieren. Beide Befürchtungen sind begründet, an beiden lässt sich arbeiten.

Bestätigt werden unsere Erfahrungen vom Global Risk Survey der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte. Sie hat 300 Führungskräfte internationaler Firmen nach den wichtigsten Unternehmensrisiken befragt: 88 Prozent der Teilnehmer gaben an, ihre Konzerne würden sich explizit auf Reputationsrisiken als zentrale unternehmerische Herausforderungen konzentrieren. Das war im Jahr 2014. Inzwischen hat die Bedeutung eines professionellen Reputationsmanagements erheblich zugenommen.

44 Prozent des Unternehmenswertes
hängen von der Reputation des CEOs ab

Auch die Befragung The CEO Reputation Premium des Beratungsunternehmens WeberShandwick bei Wirtschaftsführern aus 19 Staaten auf vier Kontinenten erbrachte interessante Zahlen. 44 Prozent des Marktwertes des Unternehmens, so meinen die CEOs, hänge direkt von der persönlichen Reputation des Vorstandsvorsitzenden ab. Die Chancen für die Damen und Herren in den Chefetagen, interessante Geschichten über sich selbst und ihre Unternehmen zu erzählen, waren wohl nie so groß wie heute. Sie sollten das tun. Denn alte Loyalitäten bröckeln: Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Vereine haben Schwierigkeiten, ihre Mitglieder zu halten und neue zu gewinnen.

Interesse dagegen wecken besondere Menschen. Und zwar solche, die entweder erfolgreich sind oder Abstürze und Schicksalsschläge durchgemacht oder ein Abenteuer bzw. eine Wandlung erlebt haben. Sie bieten Orientierung. Man möchte erfahren, wie sie das geschafft haben und die ganze Geschichte hören. Firmen, die dies erkennen, haben viele Möglichkeiten, von ihren Menschen zu erzählen.

Nicht zu verwechseln ist die Reputation indes mit dem Image einer Organisation, denn das Image kommt nur einer äußerst volatilen Momentaufnahme gleich. Insofern könnte man das Streben danach als gegenläufig zum Anspruch auf Reputation verstehen. Manager, die nicht wissen, wie lange sie ihren Führungsjob haben werden, denken meist eher in Kategorien von Image. Unternehmer dagegen wünschen sich Reputation. Nur sie ist verbunden mit bleibender Wertsteigerung und damit einer generationenüberspannenden Existenzsicherung der Organisation.

Drei Grundlagen schaffen
Vertrauen in Organisationen

Was also ist zu tun, um Reputation aufzubauen, zu sichern, zu steigern? Zunächst sollten einige Grundlagen für Vertrauen geschaffen werden.

Erstes Vertrauenskriterium: Die Organisation minimiert ihre Risiken und gibt Auskunft darüber

Jedes Unternehmen geht qua Geschäftsmodell Risiken ein. Früher wurden diese Gefahren möglichst unter dem Tisch gehalten. Niemanden hatte zu interessieren, was die Firma hinter ihren Mauern, ihrem Stacheldraht und ihrem Werksschutzabsperrungen tat und was dabei im schlimmsten Fall passieren könnte. Viele Firmen zelebrierten ihre agnotologische Haltung mit einer Verweigerung gegenüber Medienanfragen und konnten nicht einmal einen Ansprechpartner dafür benennen.

Unternehmen tun sich schwer damit,
aktiv ihre Risiken zu kommunizieren

Das ist glücklicherweise heute anders. Viele Konzerne haben verstanden, dass sie moderner mit ihren Risiken umgehen müssen. Moderner bedeutet: Sie selbst kommunizieren aktiv ihre vermeintlichen Schwächen. Das fällt manchen nicht leicht. Aber darin liegen große Chancen. Die Firmen können beweisen, dass sie über die Maßen verantwortlich mit Sicherheitsfragen umgehen, dass sie alles tun, was man erwarten kann – und noch viel mehr. So können sie sich profilieren als besonders gute und achtbare Organisationen, die besser sind als der Wettbewerb und Benchmarks in Kategorien von Prozessqualität, Authentizität und Fürsorge setzen.

Ein Beispiel: Baumarktbetreiber A legt Wert darauf, ausschließlich FSC-zertifiziertes Holz zu verkaufen. Die Produkte aus nachhaltig bewirtschafteten Forsten sind etwas teurer als Waren ohne Herkunftsnachweis und aus Raubbau. Sein Wettbewerber B kann die Lücke nutzen und den Kunden billiges unzertifiziertes Holz anbieten. Aus ökologischen Gründen ist das moralische Handeln von A richtig. Wirtschaftlich wird er indes möglicherweise zunächst nicht dafür belohnt werden, weil seine Hämmer, seine Carports und sein Parkett im direkten Preisvergleich bei Pfennigfuchsern und Krämerseelen nicht mithalten können. Aber seine Reputation wird steigen – und damit der Wert des Unternehmens. Denn er verdeutlicht allen Interessengruppen, dass er für Ideale und Werte einsteht, dass er gemeinwohlorientiert handelt, dass er Verantwortung für die Umwelt übernimmt und eine bessere Wirtschaft repräsentiert. Dafür verzichtet er auf kurzfristige Gewinne. Das Unternehmen hat verstanden, seine Prinzipien von Achtsamkeit und Fürsorge intern und extern zu leben sowie bei anderen anzuregen. In der Folge wird auch der wirtschaftliche Erfolg steigen.

Der gute Schein reicht nicht;
auf das originär gute Selbst kommt es an.

Beispiel 2: Ein weltweit führender Versicherungskonzern verkündet, künftig nicht mehr in Kohlekraftwerke und in Betreiber von solchen Energieanlagen zu investieren. Das macht zunächst Eindruck. Hier hat offenbar ein Unternehmen erkannt, wie schädlich das Verbrennen von fossilen Rohstoffen für das Überleben der Menschen auf dem Planeten ist. Das Unternehmen verzichtet augenscheinlich auf Kunden und damit auf Umsatz. Konsequent allerdings wäre diese Darstellung erst dann, wenn die Assekuranz den Kohleabbau auch nicht mehr versicherte. Unternehmen sollten nicht nur den ersten Schritt auf dem Nachhaltigkeitsweg gehen.

Kurz: Gemeinwohlorientierung gewinnt an Bedeutung. Viele Unternehmen haben Moral zu lange als Herrschaftsinstrument der Schwäche verstanden. Sie haben unbekümmert Ressourcen ausgebeutet, die Natur zerstört und die Ethik suspendiert – auf der Basis eines naiven Glaubens an immerwährendes Wachstum ohne Risikofolgenberechnung und ohne sich für die Ewigkeitskosten rechtfertigen zu müssen. All das figurierte die Ökonomie in Kooperation mit der Politik. Entsprechend groß sind bei den nachfolgenden Generationen die Vorbehalte gegenüber den Eliten.

Zweites Vertrauenskriterium: Die Organisation lebt eine wertschätzende, moderne Führung

Beim Reputationsmanagement geht es folglich nicht nur um eine wirkungsstarke Kommunikation. Vielmehr kommt es darauf an, dass die entsprechende Organisation Werte tatsächlich lebt. Der gute Schein reicht nicht; auf das originär gute Selbst kommt es an. Damit ist sie glaubwürdig, menschenfreundlich und zukunftsfähig.

Unternehmen verstehen:
Accessoires sind keine Attribute

Äußerlichkeiten wie Erfolg, Größe, Reichtum und Bedeutung – siehe Wirecard – dienen nicht wirklich der Reputation, also der nachhaltigen Bestandssicherung sowie der Steigerung der Firmenwerte. Organisationen, die auf protzende Signale setzen, verschwinden mitunter so schnell wie sie emporgestiegen waren. Unternehmen verstehen: Accessoires sind keine Attribute.

Die Gegenwart und die Zukunft verlangen eine andere Führung, eine andere Kultur, ein anderes Miteinander als die Vergangenheit. Früher waren die Menschen in Organisationen übereinandergestellt. Ober schlug Unter. Der Chef stellte die Mitarbeiter ein und entließ sie, wenn sie ihm widersprachen. Die heilige Ordnung sah eine Auseinandersetzung in Augenhöhe nicht vor, Wertschätzung wurde in vielen Unternehmen nur in Kategorien von Gehalt und Position ausgedrückt – bei gleichzeitiger zwischenmenschlicher Dürre. Beim Militär und in weiten Teilen der Medizin wird das ausgeprägte Machtgefälle noch immer gebraucht, bisweilen missbraucht. Aber in der Verwaltung, in der Dienstleistung und selbst in der Güterproduktion hat dieses paternalistische Führungsverständnis ausgedient. In ein solches Unternehmen will kaum ein junger Bewerber einziehen. Eine Atmosphäre von Befehl und Gehorsam, von Abhängigkeit und Goodwill lehnen die nächsten Generationen rundherum ab.

Bei der DGfR geben wir Führungskräfte-Workshops, wir arbeiten mit Szenarien, proben adäquates Verhalten in Rollenspielen und laden junge, beeinträchtigte Menschen und solche mit prekären Arbeitsverhältnissen ein, um die Führungskräfte mit ihren Einstellungen, Bedürfnissen und Konflikten zu konfrontieren. Dabei ergeben sich stets bereichernde Erkenntnisse für alle Beteiligten. Empathie und Vertrauen steigen merklich an. Am Ende nehmen die Teilnehmer für ihre Unternehmen vielfältige Anregungen mit, die sie hoffnungsvoll umsetzen wollen, um das positive Miteinander, die Effektivität und den Spaß zu befeuern.

„Unsere Hierarchien begünstigen
den Typ des einsamen Führers“

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, fasste das Problem mit dem Verständnis von Führung 2012 im Manager Magazin schön zusammen: „Die Mechanismen unserer Hierarchien begünstigen immer noch den Typ des einsamen Führers, der stolze Legionen heroisch führt. Dieses fast militärische Ideal passt nicht mehr in die Zeit. (…) Von Eliten muss man mehr erwarten können, als Entscheidungen nur nach Kennzahlen auszurichten – das könnten auch Maschinen.“ Künftig werden emanzipierte Belegschaften ihre Führungen vermutlich nicht mehr wie früher als lästige Zugaben des Schicksals erdulden.

Drittes Vertrauenskriterium: Die Organisation liefert echte Qualität – für das Gemeinwohl

In der Ära der Globalisierung und der Digitalisierung erzielen Unternehmen Erfolge anders als früher. Die Zeit ist schnelllebiger, Warenströme sind komplexer, Abhängigkeiten größer. Ein Merkmal für Qualität liegt in der Lieferfähigkeit. Die wiederum wird durch möglichst kurze Wege zu den Geschäftspartnern, durch nachhaltige Beziehungen mit ihnen, durch Treue und Vertrauen hergestellt. Das Bild vom ehrbaren Kaufmann kommt zurück in die Managementetagen von Konzernen. Wie können wir unseren Kunden eine jederzeitige Leistungs- und Warensicherheit garantieren? Und das bei gleichbleibend hoher Qualität der Dienste und Produkte?

Wie strahlen Unternehmen als attraktiv
und identitätsstiftend für die Jugend?

Eine weitere Entwicklung fordert Unternehmen und Verwaltungen heraus: Wie kommen sie an qualifizierte Mitarbeiter? Wie wirken sie attraktiv auf die besten Absolventen eines Jahrgangs? Wie leuchten sie sympathisch und identitätsstiftend für die Jugend, die künftigen Konsumenten, die schon heute ihr gesamtes Umfeld im Sinne von Meinungsführern beeinflussen?

Beim Nachdenken über diese Fragen lernen Unternehmen, dass künftig nicht mehr der günstigste Preis das Erfolgskriterium sein wird. Stattdessen wird es ankommen auf eine Aura von Sinngehalt, von Lebensgefühl, von Kultur. Unternehmen können diesen neuen Ansprüchen gerecht werden, wenn sie dokumentieren, dass ihr Geschäftsmodell gesellschaftlichen Notwendigkeiten dient und idealerweise sogar dem Anspruch folgt, die Zukunft lebenswert zu machen. Das hört sich in Deutschland pathetisch an. Neutraler könnten wir von Gemeinwohlorientierung sprechen.

Das Produktmarketing wird abgelöst
vom Wertemarketing

Das Produktmarketing wird abgelöst vom Wertemarketing. Jede Organisation ist verpflichtet, ihre Ansprüche und Moral zu definieren und allen Interessengruppen nachzuweisen, wie sie diese Werte lebt und inwiefern sie dem Gemeinwohl dient. Das kommt einem Ressourcenmanagement für Ethik gleich.

Aber Unternehmen sind oft nicht wirkmächtig in ihrer Kommunikation. Sie verwenden häufig die Kommunikationsmittel aus dem vergangenen Jahrhundert, sie trauen sich nichts Spektakuläres, sie sind nicht kampagnenfähig, sondern präsentieren sich als steife, biedere und langweilige Einrichtungen. Möchte man in einer solchen Atmosphäre arbeiten? Kann das Spaß und Selbstverwirklichung bringen? Eher nicht.

Firmen haben drei Möglichkeiten,
um schnell positiv bekannt zu werden

Organisationen, die schnell positiv bekannt werden wollen, haben dafür in Deutschland im Wesentlichen drei Möglichkeiten: Sie können mit einem Millionenaufwand eine Werbekampagne starten und in den Leitmedien bundesweit Anzeigen und Spots schalten. Das ist eine bewährte Methode, die aber im vergangenen Jahrhundert besser funktionierte als heute.

Zweitens können sie – erheblich zeitgeistiger – eine Videokampagne starten, wobei sich der Clip wie ein Virus von selbst verbreitet, weil sich viele Konsumenten mit der Machart, der Story, der Moral identifizieren können. Die Handelsunternehmen Edeka und Hornbach haben vorgemacht, wie’s geht.

Und drittens verfolgen täglich Millionen Zuschauer die Talkshows im deutschen Fernsehen. Hier können eloquente und menschlich wirkende Unternehmer punkten. Aber nur wenige Wirtschaftsführer – wie beispielsweise die Drogeriekönige Götz Werner und Dirk Rossmann – nutzen diese Chance. Obwohl die Auftritte viele Sympathien einbringen können und die Möglichkeit bieten, ohne Kosten eigene Botschaften unters Volk zu bringen.

Diese Aktivitäten verlangen eo ipso eine professionelle Vorbereitung. Nicht jede Chance erweist sich als opportun für eine Organisation. Vielmehr müssen Zeitpunkt, Person und Inhalte perfekt passen.

Storytelling? Witz? Selbstironie?
Moral? Virales Potenzial? Fehlanzeige.

Die Wirtschaft könnte lernen von Nichtregierungsorganisationen (NGO). Viele dieser Initiativen leben nämlich vom Erfolg ihrer aufsehenerregenden Aktionen in der Öffentlichkeit. Sie können Kampagne. Beispiel Greenpeace: Die Umweltorganisation ist einst populär geworden durch ebenso ikonographische wie lebensgefährliche Aktionen mit Schlauchbooten gegen Wahlfang-Fabrikschiffe und mit Filmaufnahmen über Robbenjäger, die weiße Babyseelöwen wegen ihres weichen Fells abschlachten. Umweltinitiativen wie Greenpeace versuchen stets, an höhere Werte jenseits von Konsum und Profit zu appellieren. Ihre Kampagnen stellen die Fragen: Auf welcher Seite stehst Du? Wie willst Du leben? Welche Werte vertrittst Du? Oft positionieren sie sich gegen wirtschaftliche Interessen. Ihre Narration ist meist die der David-gegen-Goliath-Geschichte. Wer ist hier die Identifikationsfigur? Und wer gewinnt am Ende?

Mit solchen Aktivitäten tun sich Wirtschaftsunternehmen schwer. Vielleicht, weil sie zuvörderst die Inside-Out-Perspektive einnehmen und zu wenig fragen, wie sie die Öffentlichkeit zur Fangemeinde machen könnten. Das zeigt sich besonders im Bereich der bewegten und bewegenden Bilder. Hier dokumentiert die deutsche Wirtschaft zumeist Mut- und Einfallslosigkeit. Noch immer beherrschen entweder betuliche Werbespots über die angebliche Produktwirkung (z.B. bei Herstellern von Haushaltswaren und Nahrungsmitteln) oder eine Hochglanz-Werbeästhetik mit Reichtums- und Sehnsuchtsappeal (bei Auto-Produzenten und Immobilienunternehmen) die deutsche Firmenvideo-Szenerie. Storytelling? Witz? Selbstironie? Moral? Virales Potenzial? Fehlanzeige.

Shell produziert Dokumentationen und Reportagen,
weil Greenpeace die besseren Bilder hatte

Und dann wundert sich die Wirtschaft, wenn Initiativen und Pressure Groups die visuelle Deutungshoheit haben. Sven Herold, ehemaliger Vice President Creative bei Shell International und ehedem zuständig für die Bewegtbildkommunikation des Konzerns, sagte auf der Corporate-Video-Konferenz 2014 in München: „Ich bin eingestellt worden, weil Greenpeace eine bessere Bewegtbildabteilung hatte als Shell. Da hat das Unternehmen gesagt: Das kann ja wohl nicht sein!“ Seither produziert der Öl-Multi Reportagen und Dokumentationen, die bei Fernsehsendern rund um den Globus laufen. Immer sind Shell-Mitarbeiter die Helden, die sich Abenteuern stellen, Hindernisse überwinden, den Antagonisten besiegen und schließlich das Elixier finden, um in der Storytelling-Diktion zu bleiben. Das ist, unabhängig von Shells sonstigen Aktivitäten, modernes Marketing at its best.

Herold hatte das Ziel vorgegeben: „Wir wollen als Medienhaus anerkannt werden.“ Er hat verstanden: Marken werden Medien. Sie haben die Möglichkeiten dazu und sollten sie nutzen. Wenn sie das strategisch, glaubwürdig und subtil tun, werden sie erfolgreich sein.

Wer wichtige Instrumente der Persuasion nicht einsetzt,
wird bei Menschen kaum positive Emotionen hervorrufen

Einer Studie der Corporate Video Association aus dem Jahr 2014 zufolge präsentierten damals die 500 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland durchschnittlich 130 Videos im Internet. Heute, sechs Jahre später, sind es vermutlich mehr als 200 Clips und Filme pro Konzern. Bei den bewegten Bildern liegen die kleinen und mittelgroßen Firmen weit zurück. Viele von ihnen haben die Chancen der Videoproduktion noch nicht entdeckt. Immer wieder äußern Vorstände mir gegenüber Bedenken: „Was tun wir, wenn die porträtierte Mitarbeiterin das Unternehmen verlässt oder wenn der im Film vorkommende Kollege in Rente geht oder stirbt? Könnte die Videokampagne einen Shitstorm auslösen? Wie wird unser Wettbewerb reagieren? Könnte er uns lächerlich machen?“

All diese Bedenken sind unbegründet, sofern man einige Standards berücksichtigt. Wer im Internet keine Videos vorzeigt, verhält sich wie ein Zoo, der nur Texte und Fotos von seinen Tieren zu bieten hat – aber eben keine lebendigen Wesen, die man bewundern, bedauern, füttern, beobachten kann. Das Netz ist ein Bewegtbild-Medium, es konvergiert zunehmend mit dem Fernsehen. Möglicherweise wird es auf Videoplattformen bald TV-Programme geben. Unternehmen sollten wissen: Filme und gute Geschichten schüren (erwünschte) Gefühle. Wer aber wichtige Instrumente der Persuasion nicht einsetzt, wird bei Menschen kaum positive Emotionen hervorrufen.

Aus diesen Gründen wirken viele deutsche Firmen und Einrichtungen für die Bürger langweilig. Man will gar nichts von ihnen wissen.

Bilder sind mächtig: Das Video der Tötung
von George Floyd ist dabei, die USA zu verändern

Bilder prägen die öffentliche Meinung. Bilder haben z.B. dazu beigetragen, dass Deutschland aus der Atom- und Kohleverstromung aussteigt (die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima sowie dicke, dreckige Qualmwolken aus hohen Kohleschloten und Kühltürmen). Bilder verändern den Umgang mit Nutztieren, die Essgewohnheiten der Menschen (Aufnahmen von Kastenständen, von der Ferkelkastration, vom sogenannten Kükenschreddern und aus Schlachthäusern).

Weltweit rezipieren Menschen auf Videoplattformen die quälenden Smartphone-Aufnahmen über die Tötung von George Floyd: In den 8 Minuten und 46 Sekunden, in denen der weiße Polizist auf seinem Nacken kniet, japst Floyd 16 Mal: „I can’t breathe“. Verzweifelt bittet er den Beamten, aufstehen zu dürfen…

Menschen glauben, was sie sehen; Filme emotionalisieren,
sie wirken modern und bilden Vertrauen

Ohne diese Aufnahmen wäre Floyds Tod einer von vielen in der langen Reihe der Tötungen schwarzer Bürger durch weiße Beamte in den USA gewesen. Doch dieses erschütternde Bilddokument ist dabei, die Vereinigten Staaten für immer und grundlegend zu verändern. Und die Black-Lives-Matter-Bewegung greift über auf andere Kontinente. Auch europäische Staaten werden ihre koloniale Vergangenheit aufarbeiten müssen.

Videos haben viele Vorteile für den Einsatz in der Organisationskommunikation: Sie sprechen die Jugend an, sind modern und haltbar, werden auch nach zehn oder zwanzig Jahren noch angesehen. Sie wirken glaubwürdig und vertrauensbildend, weil der Mensch die Neigung hat, seinen Augen zu trauen. Videos emotionalisieren, wenn sie dramaturgisch gut produziert sind oder ein außerordentliches Geschehen dokumentieren – wie der Polizeieinsatz gegen George Floyd.

Mit Firmenvideos werden Kampagnen gestartet. Idealerweise verbreiten sie sich wie ein Virus bzw. viral, so dass sich Millionen Menschen mit dem Unternehmen und seinen Idealen, seinem Handeln oder seinen Beschäftigten identifizieren. Filme sind auch deshalb das Mittel der Wahl, weil sie eine Aura von Modernität transportieren – irgendwie leuchten sie unterhaltsamer und zukunftsfähiger als Pressemitteilungen, Hauptversammlungsreden und PowerPoint-Vorträge.

Initiativen nutzen Strafanzeigen
als Kommunikations-Instrument

Die Themen für Videos sind beinahe unerschöpflich: der Gründer des Unternehmens; die Meilensteine der Firmenhistorie; die Unternehmenskultur; Geschichten über Standorte, Werke, Filialen; Produkte und Services, ihre Wirkungsweisen, Anwendungen, öffentlichen Vorstellungen; wirtschaftliche Erfolge; Kunden-Testimonials; Forschungsprojekte; Veranstaltungen; Statements der Geschäftsführung; das Qualitätsmanagement; die Aus- und Weiterbildung; Karriere-Chancen; Vereinbarkeit von Familie und Beruf; Incentives für Beschäftigte; Auszeichnungen; Zertifikate; die Firmenexpansion; wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit; Zukunftsprognosen; Menschengeschichten; Konflikte aller Art usf. Jede Organisation hat solche Themen, jede kann Dutzende attraktive Videos produzieren und damit sämtliche Anspruchsgruppen ansprechen und überzeugen.

Nicht nur im Einsatz von Videos sind Initiativen vielen Unternehmen überlegen: Sie nutzen auch Strafanzeigen als Kommunikations-Instrument – zum Leidwesen mancher Firmen. Beispielsweise zeigen Tierrechtsorganisationen Zirkusse iterativ wegen angeblicher Verstöße gegen das Tierschutzgesetz in jenen Städten an, die als nächstes auf dem Tourplan des jeweiligen Zirkusses stehen. Die jeweilige Anzeige soll in ihrer öffentlichen Wirkung den Schuldspruch einschließen, denn die Menschen neigen dazu, sich ihre Meinung schnell zu bilden. Die Staatsanwaltschaften gehen den Anzeigen nach und nehmen meist (Vor-)Ermittlungen auf. Gleichzeitig meldet die Initiative diesen Fakt an die örtlichen Medien, die in der Folge über die Vorwürfe und die Aufnahme der Ermittlungen berichten.

Kamerateams stehen frühmorgens vor dem Privathaus
eines Managers und filmen seine Festnahme

Selbst wenn alle Beschuldigungen haltlos sind und die Ermittlungen bald eingestellt werden, gilt die Erkenntnis semper aliquid haeret – etwas bleibt immer hängen. Genau deshalb kommen vermutlich nicht mehr viele Bürger in die Vorstellungen des inkriminierten Zirkusses. Der Umsatz der Tour sinkt für den Betrieb in nie gekannte Tiefen (sofern er sich in dieser Krisensituation nicht geschickt verhält). Eine solche Kampagne kann bis zum Ruin des Zirkusunternehmens führen. Dieses Beispiel verdeutlicht: Reputationsmanagement umspannt häufig auch rechtliche Fragen und Lösungen.

Apropos Staatsanwaltschaft: Behörden pflegen enge Beziehungen zu Medienvertretern. Da kommt es beispielsweise vor, dass die Medien über opake Wege Informationen aus Ermittlungskreisen erhalten, die mit der Auskunftspflicht eigentlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Oder Fotografen und Kamerateams warten frühmorgens vor dem Haus eines Managers, der wenige Minuten später von Staatsanwälten abgeführt wird. Welch ein Zufall! Offenbar haben auch manche Behörden Interesse an Publicity…

Herzliche Grüße

Matthias Michael

 

Lesen Sie im 2. Teil mehr zum Thema Wie funktioniert Reputationsmanagement? unter: https://dgfr.online/wie-funktioniert-reputationsmanagement-teil-2/