Banken kooperieren zurückhaltend mit Start-ups – dabei könnten die Digitalunternehmen den etablierten Instituten beim Banking der Zukunft helfen

Die Finanzwelt hat in den vergangenen 20 Jahren einen Zusammenprall zweier Kulturen erlebt: Hier die Welt der Banken, die lange Tradition, die wirtschaftliche Bedeutung, die prächtigen, herrschaftlichen Bauten, die Anerkennung als wichtiger Standortfaktor und als Finanzier der deutschen Wirtschaft – der Glanz von Größe und Macht. Dort die superschnellen und anpassungsfähigen digitalaffinen Visionäre, Selfmadeleute und Programmierer, die agil arbeiten in ihren Lofts und von überall mit Ideen und Laptops die internationalen Trends setzen, weil sie jederzeit und tagesaktuell auf neue Kundenbedürfnisse eingehen.

Das Verhältnis zwischen Banken und Fintech-Unternehmen ist noch immer ambivalent: Wenngleich eine Vielzahl der Institute vorsichtig Verbindungen geknüpft, Räume oder Mentoren zur Verfügung gestellt oder auch erste gemeinsame Projekte initiiert hat, fühlen sich etliche Traditionshäuser von digital arbeitenden Start-ups angegriffen, andere belächeln sie. Beide Reaktionen sind für die Banken gleichermaßen schädlich, weil sie eine Distanz aufbauen, wo eine partnerschaftliche Zusammenarbeit nötig wäre.

Zur Wahrheit gehört: Einige disruptive Fintechs können traditionelle Banken bedrohen. Diese Unternehmen haben sich vorgenommen, Finanzinstitute teils zu ersetzen oder zu verdrängen. Hier ist Vorsicht begründet.

Hingegen können partnerschaftlich und komplementär orientierte Start-ups womöglich dazu beitragen, die Zukunft von Bankhäusern zu sichern. Denn die Branche steht mehrheitlich noch am Anfang ihrer digitalen Transformation.

Bankhäuser und Fintechs sollten ihre symbiotische Beziehung erkennen: Beide brauchen einander und profitieren von den Eigenschaften und Aktivitäten des jeweils anderen. Die meisten Start-ups der Branche wissen das. Viele Bankvorstände indes befürchten, dass ihnen durch die digitalen Geschäftsmodelle von Finanztechnikfirmen einzelne Stufen der Wertschöpfung wegfallen (Disintermediation). Vor mehr als 20 Jahren beispielsweise begann PayPal – damals ein Markteinsteiger –, die Finanzdienstleistungsbranche durcheinander zu wirbeln und eroberte schließlich einen großen Anteil am B2C-Zahlungsverkehr. Das u.a. von Elon Musk und Peter Thiel im kalifornischen Palo Alto gegründete Unternehmen hatte schnell weltweit durchschlagenden Erfolg und wurde dann von Ebay übernommen. Inzwischen gibt es weitere B2C-Zahlungsanbieter, die Banken in diesem Bereich herausfordern.

Die Banken könnten sich selbst entmächtigen
zu austauschbaren Dienstleistern

Zwar dominieren die ehrwürdigen Institute noch andere B2C-Segmente wie Immobilienfinanzierung, Altersvorsorge und Anlagestrategien für Privatkunden. Aber sie müssen sich inzwischen neuen Bedrohungen stellen, die sich auf dem Feld der B2B-Transaktionen abzeichnen – einem globalen Markt, dessen Umfang auf mehr als 300 Billionen US-Dollar jährlich geschätzt wird. Denn hier haben sich neue Wettbewerber etabliert, deren B2B-Netzwerke sich global entwickelt haben. Geschickt ergänzen sie ihre Software-as-a-Service-Geschäftsmodelle mit Cross-Selling-Angeboten und binden viele unterschiedliche Partner mit ein, die sich preislich unterbieten dürfen.

Ein aus dem Wettbewerb resultierender Preiskampf, der ausschließlich auf Kosteneffizienz basiert, könnte letztendlich das wichtigste Kapital der Bankhäuser gefährden: die persönliche Beziehung zu ihren Kunden und das entsprechende Vertrauensverhältnis. Wenn diese Basis verloren ginge, würden sich Banken selbst entmächtigen zu austauschbaren Dienstleistern. Sehr lange haben sie sich auf ihre tradierten Geschäftsmodelle und auf die langjährigen Beziehungen zu ihren Kunden verlassen.

Aber noch können moderne Banken mit den richtigen Partnern die größten Einnahmequellen des 21. Jahrhunderts erschließen. Dafür sollten sich beide Parteien aufeinander einlassen und gemeinsam die wechselseitigen Stärken ausspielen.

Die Nachfrage nach integrierten und innovativen Finanzprodukten im B2B-Markt steigt stetig. Unternehmen sind auf der Suche nach Komfort und Flexibilität, automatisierter Transaktionsverarbeitung und optimiertem Working Capital. Der internationale Handel ist komplexer, wettbewerbsfähiger und kostspieliger geworden. Deshalb versuchen Unternehmen, ihre Prozesse zu verschlanken, um erfolgreich zu sein. Hier bieten Fintechs moderne Lösungen. Banken können Provisionen aus banknahen, aber nicht banktypischen Produkten generieren. Sie verfügen über die größten B2B-Netze der Welt. Aber sie nutzen sie noch nicht richtig. Sie könnten ihre Kundenbeziehungen weitaus profitabler gestalten.

Eines der bedeutendsten Probleme im B2B-Geschäft liegt beispielsweise in der Abstimmung der Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung. Solange die Fakturierung nicht vollautomatisch abgewickelt werden kann, ist sie nicht flexibel und ad-hoc zu refinanzieren. Fintechs bieten hier digitale Lösungen und nur einmal abzustimmende aber dann jederzeit abrufbare Finanzierungsinstrumente in den Bereichen dynamische Diskontierung, Factoring und Reverse Factoring.

Dass sich die Ansprüche der Firmen- und Privatkunden verändert haben, nehmen auch die Banken wahr. Unternehmen legen – ebenso wie Privatpersonen – Wert auf einfache Produkte, die sie jederzeit mobil abrufen können, die transparent und vergleichbar sind und besten Service bieten. Es reicht beileibe nicht mehr aus, analoge Bankprodukte zu digitalisieren.

„In der Medizin würde man
von Scheinoperationen sprechen.“

Aber etliche Banken reagieren noch nicht zeitgemäß: „Es gibt kaum einen Bankvorstand, der nicht gerne das eigene Engagement und die zahllosen Fintech-Kooperationen des eigenen Hauses auf Konferenzen und Presseterminen anpreist, zumal die eigenen Geschäftszahlen oftmals seit vielen Jahren keinen wirklichen Grund zum Feiern geben“, heißt es in der Studie Using Fintechs right – Wachstum und Zukunftsfähigkeit durch die richtige Kooperation der Münchener Unternehmensberatung Moonroc aus dem Jahr 2019: „Start-ups bieten den Banken somit eine willkommene Gelegenheit, vom tristen Alltag und den sehr durchwachsenen eigenen Ergebnissen der letzten Jahre abzulenken. Das eigene Haus soll schließlich, durch mit möglichst vielen bunten FinTech-Logos gespickten PowerPoint-Folien als innovativ und fortschrittlich angesehen werden.“ Bislang, so schreiben die Autoren weiter, habe die FinTech-Kooperationswelle aber kaum Auswirkungen auf die realen Ergebnisse der Banken gebracht. Viele Kooperationen seien reine Lippenbekenntnisse: „In der Medizin würde man von Scheinoperationen sprechen: Innovationen, die am Ende ohne messbare Wirkung, ohne Relevanz für das Geschäft bleiben.“

Wenn aber Banken mit Fintechs nur zu Marketingzwecken kooperieren und meinen, sie könnten ohne wirkliche Partnerschaften die Zukunft gestalten, werden sich ihre Probleme über kurz oder lang verschärfen.

Hingegen bieten enge Kooperationen in Augenhöhe große Potenziale: Fintechs liefern Softwarelösungen, Flexibilität, Mut und Überzeugung für den Einsatz neuer Leistungen; Onboarding- und Time-to-market-Prozesse bewältigen sie in Rekordzeiten. Banken wiederum steuern ihre Finanzkraft, den Kundenzugang, die Bekanntheit und die Infrastruktur bei. Ihre Risikoeinschätzungen können sie verkürzen, wenn die Fintech-Produkte bereits am Markt funktionieren und ihre Feuertaufen bestanden haben. Im Idealfall beeinflussen die Kooperationen Ertragsquellen, Produkte und erweitern das gesamte Geschäftsmodell der Finanzinstitute. Das gemeinsame Handeln hilft ihnen, das Banking von morgen zu gestalten.

Die privaten und die öffentlich-rechtlichen Institute wissen, dass sie sich öffnen müssen für die Digitalisierung und die Zukunft der Finanzdienstleistungen. Ihre Firmenkunden sind nämlich auf der Suche nach Mehrwerten durch größere Transparenz, effizientere Prozesse, geringere Kosten. Mithin können die Banken geschickt komplementäre Produkte von Fintechs nutzen, mit deren Hilfe sie Provisionen generieren, Kunden binden und sogar neue gewinnen.

Hemmend allerdings wirkt sich die Risiko-Aversion vieler Banken aus. Sie legen Wert auf Standards, auf regulatorische Vorgaben und Seriosität und sind mitunter Meister im Vermeiden von Veränderungen. Außerdem haben sie erhebliche Bedenken, Fremden ihren größten Schatz zu offenbaren: den Zugang zu ihren Kunden. Sie fürchten sich davor, so womöglich die Position als Dienstleister ihrer Stammklientel zu schwächen. Dieser Gefahr können sie dadurch vorbeugen, dass sie sich das ausgesuchte Fintech, seine Produkte, sein Geschäftsmodell, seinen Umgang mit Daten und Erträgen aus zwei Blickwinkeln ansehen: aus dem eigenen und dem der Geschäftskunden. Zukunftsweisende Win-Win-Win-Modelle mit Smartness, Transparenz, Wettbewerbsfähigkeit und Fairness sind selten wie die Gerechtigkeit – aber es gibt sie.

Fintechs bringen ihre Software, Geschwindigkeit und Mut mit;
Banken steuern Kapital, Infrastruktur und Bekanntheit bei

Wenn die Banken langfristig wettbewerbsfähig bleiben wollen, sollten sie diese Hürden überwinden und schnellstens mit den tatsächlich freundschaftlichen und helfenden Fintechs kooperieren. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit beginnt beim Ideenaustausch, beim Darlegen der Kundenvorteile durch digitale und automatisierte Leistungen vor dem Hintergrund der sich verändernden Wünsche und Bedürfnisse von Privat- und Firmenkunden. Im nächsten Schritt wird das Geschäftsmodell definiert, zusammen mit Zielen, Aufgaben, ersten Schritten, einem Ressourcen-, Zeit- und Finanzplan. Schritt drei umfasst die operative Arbeit. Hier werden das Kapital bereitgestellt und die Ziele umgesetzt, die beispielsweise quartalsweise evaluiert werden. Sofern dies alles erfolgversprechend verläuft, können beide Seiten ihre Zusammenarbeit ausweiten und den Geschäftszweck auf einen größeren Kundenkreis übertragen.

Herzliche Grüße

Matthias Michael, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Reputationsmanagement