Beim weltweiten wirtschaftlichen Erfolg profitieren US-Konzerne von der besonderen Erziehung in ihrem Land

Die wertvollsten Unternehmen der Welt sind Tech-Giganten. Unter den zehn größten verdienen sieben ihr Geld mit Digitalgeräten oder Internettechnologie: Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Nvidia, Meta, Visa. Das geht aus der Liste der 100 größten Unternehmen hervor, die das Wirtschaftsprüfungsunternehmen PWC in seinem Global Top 100 Ranking im Mai 2023 veröffentlicht hat (https://www.pwc.de/de/deals/ranking-der-100-wertvollsten-unternehmen/2023/pwc-global-top-100-companies-2023.pdf). Die jährlich erscheinende Aufstellung basiert auf der Marktkapitalisierung bzw. dem Marktwert der Unternehmen. Die meisten Riesen eint, dass sie erst wenige Jahrzehnte alt sind, dass sie ihre Erträge im Zuge der Digitalisierung erwirtschaften und dass sie sich in den USA entwickelt haben.

Der US-Anteil am Wert der Top 100 Unternehmen weltweit beträgt 70 Prozent. Weit abgeschlagen auf Platz 2 der Länder rangiert China mit 9 Unternehmen unter den 100 größten. Unter den zehn größten Unternehmen kommt nur ein einziges nicht aus den USA, nämlich die Saudi Arabian Oil Company (auf Rang 3). Neben den genannten komplettieren die Berkshire Hathaway Inc. und die Tesla Inc. die Top Ten. Alle neun amerikanischen Firmen unter den Top Ten wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Mit Ausnahme der diversifizierten Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway des Finanzinvestors Warren Buffett kommen alle im weiteren Sinn aus der Technologiebranche.

Auffällig an den Größten:
Sie sind jung, amerikanisch und digital

Deutlich wird: Die erfolgreichsten Konzerne sind entweder in Digitalunternehmen investiert, oder sie führen ihren jeweiligen Industriezweig im Bereich der digitalisierten Wertschöpfung an, oder sie entstanden mit ihren Produkten und Services überhaupt erst durch die Digitalisierung. Branchen-Champions sind immer auch digitale Spitze. Denn die so wichtige analoge Produktewelt funktioniert kaum ohne eine Forschung, eine Produktion, ein Marketing und einen Vertrieb, die allesamt digital gesteuert werden. Kurzum gilt auf globaler Ebene: Wirtschaftliche Führung bedingt digitale Führung. Und das digital House der Welt ist die USA.

Bei der Analyse der Tabelle sticht ein weiterer Fakt ins Auge: 64 der wertvollsten 100 Unternehmen kommen aus den USA – und nur drei aus Deutschland, nämlich SAP auf Rang 70, Siemens auf Rang 86 und die Deutsche Telekom auf Rang 96. Die USA ist bezogen auf die Bevölkerungszahl mit ihren 330 Millionen Einwohnern ziemlich genau viermal so groß wie Deutschland mit inzwischen 85 Millionen Menschen. Aber bei den Markenkolossen steht es nicht 4:1, sondern 64:3. Woran mag das liegen? Warum dominieren die Amerikaner die Weltmärkte? Was läuft zwischen Minnesota und Miami anders als zwischen Kiel und Kempten?

In der Wirtschaft verschwindet zunehmend
die mittlere Führungsebene

Erstens haben die USA den Vorteil eines riesigen eigenen homogenen Marktes, zweitens profitieren die Unternehmen dort von ihrem Dollar als führender Handelswährung, drittens von der Weltsprache Englisch. Und viertens ist die Börsenkultur in den USA noch immer eine andere als in Europa oder China. Aber womöglich geht der stärkste Einfluss von etwas anderem aus, das bei Wettbewerbsvergleichen sonst kaum genannt wird: Die andere Wirtschafts-, Handels- und Innovationskultur wurzelt nämlich auch in einem anderen Erziehungsmodell.

Die Führungskultur unterscheidet sich. Die Manager und die Beschäftigten gehen anders miteinander um. Besonders an der US-Westküste und im Sonnenstaat Kalifornien, wo z.B. die Category Killer Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet und Meta sitzen, kleiden und benehmen sich die Beschäftigten unkompliziert, geradezu lässig und betont persönlich. Ein förmliches Siezen kennt man nicht. Hierarchien sind weniger ausgeprägt als in Europa – jedenfalls auf den ersten Blick. Mittlere Führungsebenen, beispielsweise in Form von Teamleitern, verlieren zunehmend an Bedeutung.

Das Eingeständnis von Fehlern
wird incentiviert

Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen haben sich in Projektteams einzuordnen. Ihre Rollen ähneln jenen von Trainern, Coaches, Förderern ihrer Gruppen. Auf diese Weise macht die Arbeit mehr Freude: Man berichtet nicht an einen Vorgesetzten, von dessen Bewertung die eigene Stelle und mithin die wirtschaftliche Existenz abhängt, sondern man bringt sich mit seinen Stärken in die Gruppenarbeit ein. So funktioniert das agile Arbeiten zumindest in der Theorie. Die Realität muss hier und da noch geübt werden. Denn diese neue scheinbare Gleichrangigkeit führt zu anderen Konflikten.

Fehler zu machen und zu kommunizieren, gilt in dieser Kultur als nützlich und gut. Denn daraus können alle Kolleginnen und Kollegen und die ganze Firma Lehren ziehen. Bisweilen wird das Eingeständnis von Fehlern sogar incentiviert. In diesem Punkt können viele deutsche Unternehmen lernen. Wo es als Makel und Schwäche gilt, einen Misserfolg zu erleben, muss der Mut für unkonventionelle Versuche und für riskante Experimente verkümmern.

Die Amerikaner punkten mit dem Credo:
Ready, fire, aim!

Die Amerikaner sind schneller mit Produkten auf dem Markt. Wir Deutschen verlangen meist von unseren Waren und Dienstleistungen, sie sollten perfekt sein, wenn sie der Allgemeinheit angeboten werden: Wenn Du fertig bist (englisch: ready), definiere Dein Ziel (englisch: aim) und bring‘ Dein Produkt auf den Markt, feuere es gleichsam ab (englisch: fire). Diese Reihenfolge haben US-Firmen zunehmend verändert. Das Credo heißt dort vielmehr: ready, fire, aim. So lautet auch der Titel eines amerikanischen Wirtschaftsbestsellers.

Das bedeutet: Ist ein Produkt fertig und hinreichend gut, wird es auf den Markt geworfen – weit diesseits jeder Vollkommenheit. Erst nach und nach, durch das Feedback und die Erfahrungen der Kunden, durch die beständigen Verbesserungen der Ingenieurinnen und Programmierer, kann der Hersteller sein Produkt weiter justieren und optimieren, so dass die Ware eine außergewöhnliche Qualität erreicht. Die Tesla-Autos beispielsweise waren in den ersten Jahren alles andere als perfekt, aber sie wurden digital verbessert und erhielten immer wieder Updates, offenbar für ihre Steuerung, ihren Energieverbrauch und ihre Leistung. So lassen sich normale Stromer mittels Beschleunigungsboost und Software-Push zu Elektro-Kraftpaketen aufrüsten. Gleichzeitig war das Unternehmen mit diesen Produkten (schicke, teure E-PKW mit eigenen öffentlichen Ladesäulen) first mover, also als erster auf dem Markt. Es genießt deshalb den Ruhm der guten Idee, die Nachahmer fand, die Branche, die Wirtschaft und das Leben der Menschen positiv veränderte. So entstehen Einhörner und Weltmarktführer mit einer Aura von Nachhaltigkeit und Modernität.

Was hilft, sind die Spielermentalität
und der Glaube ans Next Big Thing

Die Amerikaner sind zudem Meister darin, vom Kunden her zu denken, also outside-in. Die Umsetzung gelingt ihnen dank ihrer beinahe grenzenlosen Technikgläubigkeit und ihres Optimismus‘. Was der Kunde braucht, wird für ihn hergestellt. Dabei helfen die großzügige Fehlerkultur, das enorme Risikokapital von Investoren und Banken, die Spielmentalität der ganzen Nation und der Traum vom next big thing.

Die bürokratischen Hürden sind in God’s own Country weit geringer als hierzulande. Auch ohne Krankenversicherung, ohne Fenster in der Garage und ohne Drei-Jahres-Geschäftsplan kann man in den USA eine Firma gründen. Zudem begeistern sich Investoren zwischen Phoenix und Philadelphia leichter für Start-ups mit einer guten Idee für ein interessantes Produkt als in Deutschland. Dabei sind sie auch langfristiger orientiert als viele deutsche Kapitalgeber, die oft meinen, ein Start-up müsse möglichst sofort profitabel sein.

Hierzulande wird erzogen mit Grenzen, Noten, Vorschriften:
gehorchen, stillsitzen, aufpassen, brav sein!

Ein entscheidender Vorteil für amerikanische Unternehmen liegt meiner Ansicht nach woanders begründet: in der Erziehung. In Deutschland sind Eltern in der Regel die Vorbilder ihrer Kinder. Mutter und Vater wollen Orientierung geben. Die Kleinen wachsen auf, indem sie den Eltern nacheifern. Man erzieht mit Grenzen, mit Vorschriften, mit Noten in der Schule, mit Regeln, Normen und Ansagen. Die Kinder sollen – noch immer – gehorchen, stillsitzen, aufpassen, brav sein, Leistungen erzielen, gute Bewertungen mit nach Hause bringen, den Lehrern gefallen und entsprechend angepasst die Schulzeit durchlaufen.

Dabei helfen die sprichwörtlichen deutschen Sekundärtugenden: Pünktlichkeit, Fleiß, Gehorsam, Disziplin, Pflichterfüllung. Hingegen sind Kreativität, Egozentrik bzw. Exaltiertheit, Gründergeist oder Sonderhaftigkeit (mit Hingabe für Fächerfremdes) eher unerwünscht, mindestens aber nachrangig. Künstler fallen durchs Schulsystem. Genies sowieso. Thomas Mann war ein schlechter Schüler, Albert Einsteins schwache schulische Leistungen sind Legende, er verließ das Münchener Luitpold-Gymnasium 1894 vorzeitig und ohne Abschluss, studierte nach seiner Matur in der Schweiz aber dort.

Das deutsche Schulsystem war darauf angelegt,
Fabrikarbeiter, Beamte und Soldaten zu produzieren

Viele Eltern hierzulande wollen vor allem, dass die Kinder die Schulzeit trotz der vielen Negativerlebnisse, der ständigen Anspannung und Bewertung ohne eine Psychotherpie und seelisch einigermaßen unbeschadet überstehen. Ein Beispiel: In Bayern sind Schülerinnen und Schüler in vielen Schulen jeden Tag und in allen Fächern über Jahre hinweg von „Exxen“ bzw. extemporalen Prüfungen bedroht. Einige Rektorinnen und Rektoren, die den Dauerdruck eines solchen Systems für die Kinder verstehen, haben das natürlich abgeschafft. Aber Schulen, die diesen extremen Stress weiter pflegen, gelten in den Augen vieler Kinder und Jugendlichen als Exxen-Horrorhäuser, in denen sie jahrelang Qualen erleiden. So etwas wird Erwachsenen in der Berufswelt nicht zugemutet. Aber eben den Kindern, die mit dieser permanenten Drucksituation und Prüfungsangst noch nicht gut umgehen können. Kinder, die eine Zeitlang in den USA oder Kanada eine Schule besucht haben, konnten dort häufig andere Formen von Gemeinschaft, von Selbstwirksamkeit, von Anerkennung und persönlicher Wertschätzung – auch jenseits der kognitiven Leistungserbringung – erleben als hier in Deutschland. Viele von ihnen wollen danach nicht mehr gern ins hiesige Schulsystem zurückkehren.

Das deutsche Schulsystem war früher viele Jahrzehnte lang darauf ausgerichtet, Fabrikarbeiter, Beamte und Soldaten hervorzubringen – mithin funktionierende Menschen, die sich in eine heilige Ordnung einfinden konnten, keine Fragen stellten und mindestens acht Stunden am Tag stillsitzen und lernen konnten. Keine Widerrede! Dafür musste niemand kreativ oder bunt oder unternehmerisch daherkommen. Im Gegenteil.

Das ist pauschalisiert, ich weiß – und Pauschalurteile sind immer falsch. Geschenkt: Es geht darum, systemische Unterschiede der Kindheits- und Jugendprägung herauszuschälen.

Amerikanische Eltern wollen nicht
die Vorbilder ihrer Kinder sein

Viele amerikanische Eltern haben ein anderes Ideal von Erziehung. Sie verstehen sich nicht als die Vorbilder ihrer Kids, sondern als deren größte Fans. Und so verhalten sie sich auch. Daher rührt die Neigung vieler Mädchen und Jungen zu sportlichen und künstlerischen Auftritten in ihrer Schule und im Wettbewerb mit anderen Schulen. Leider mangelt es weitgehend an solchen identitätsstiftenden Veranstaltungen zwischen Schulen in Deutschland – abgesehen von verkopften Leistungswettbewerben wie Jugend forscht. Die Kids in America wollen sich mit ihren Leidenschaften präsentieren. Sie finden Selbstwert früh im Vorführen, dafür werden sie anerkannt, belobigt, gepriesen. Das Schauspielern und Darstellen prägt die gesamte amerikanische Kultur. Amerikaner neigen zur Performance.They love to entertain you. Bei jeder Kommunikation geht es ihnen zunächst einmal darum, die Gegenüber zu unterhalten, ihnen eine Freude zu bereiten, ihnen Abwechslung zu bieten. Das Leben ist schwer genug…

Ein ganz anderes Verhältnis haben viele in Deutschland Aufgewachsene zur Bühne und zum Publikum davor: Es stellt eine Prüfung dar, es kann uns verurteilen. Im besten Fall lässt es uns gewähren. Dass es uns lieben könnte, kommt uns weniger in den Sinn. Anders gehen die Amerikaner mit dem Auditorium um. Sie haben von Kindes Beinen an gelernt, ihre Zuschauer zu mögen – mit ihnen ein persönliches Verhältnis einzugehen, sie zu umgarnen und zu umarmen. Sich ihnen zu öffnen und Persönliches preiszugeben. Auch Pathos zu teilen.

Europäer, die mit amerikanischen Firmen geschäftlich zusammenarbeiten möchten und dort ihre Produkte, Leistungen und Konditionen vorstellen, machen oft die Fehler, schnell und nüchtern zur Sache zu kommen, Zahlen und Fakten darzulegen und in der ganzen Spröde der Pragmatik ihre unterhaltungsgewohnten Gastgeber zu langweilen.

Wer in eine Talkshow geht, sollte wissen:
You must bring something!

In den USA ist Lockerheit Trumpf. Wer in eine Talkshow geht, sollte den Leitsatz kennen: You must bring something! Und wer keine Geschichte erzählen und Pointen fallen lassen kann, meidet am besten öffentliche Auftritte. So jemand wird in den USA auch schwerlich etwas verkaufen können. Die Performance sagt etwas aus über die Persönlichkeit. Wie man in Großbritannien keine Geschäfte macht mit Leuten, die die britische Etikette nicht beachten, machen Amerikaner höchst unwillig Deals mit Langweilern. Sie möchten auch im Berufsleben entertaint werden.

Was kann all dies für unser Schul- und Bildungswesen bedeuten? Es geht nicht darum, Schülerinnen und Schüler zur funktionierenden Masse für die aktuellen Bedürfnisse der Wirtschaft zu formen – das hatten wir lange genug in der Vergangenheit. Dennoch bedarf der Bildungskanon einer mutigen Inventur. Schließlich hat heute jedermann an jedem Ort das Wissen der Welt in Form von Google, Wikipedia, YouTube, Udacity und Co. dabei. Folglich müssen die Beschäftigten hierzulande nicht die Eigenschaften von Milchsäure, drei Opern von Puccini und die Achsenberechnung einer Parabel aufsagen können. Sie tragen dieses unveränderliche Wissen in der Hosentasche.

In der deutschen Schule erfolgreich sind
die fleißigen Lerner, die Abspeicherer und Wiederkäuer

In der Schulzeit könnten sich die jungen Menschen andere Eigenschaften aneignen. Das Bildungssystem sollte den wunderbaren Wissensdrang der Kinder und Jugendlichen fördern. Dafür brauchen die Schulkinder vielfältige Anregungen und Freiräume, z.B. in Form von jahrgangs- und fächerübergreifenden Projekten. Die Kids sollten viel stärker in Gruppen zusammenarbeiten, forschen, recherchieren und sich ausprobieren können. Und dann dafür Anerkennung genießen dürfen. Das gleiche gilt für den sportlichen Zusammenhalt, die gemeinsame Erfahrung und den freundschaftlichen Vergleich mit anderen Gruppen. Auch hier legen US-amerikanische und kanadische Schulen größten Wert auf die Identität aller Schülerinnen und Schüler, aller Eltern und Freunde und auch des gesamten Kollegiums mit „ihrer“ Einrichtung. Ob in der Leichtatlethik, im Volleyball, im Basketball, im Hockey, im Rudern oder vielen anderen Sportarten: Die Schulen treffen sich zu fröhlichen Veranstaltungen und laden die gesamte Schulgemeinschaft dazu ein. Das schafft Verbundenheit, Identität und Reputation – weit über die Schulzeit der Kids hinaus. Eine solche Schulkultur und Identifikation fehlt en gros in Deutschland.

Ausgerechnet dann, wenn junge Menschen besondere Veränderungen erleben und sich kreativ orientieren in der Erwachsenenwelt, nämlich im Alter zwischen 15 und 20 Jahren, sollen sie hierzulande systemkonform funktionieren. Mit dieser Haltung erreichen nicht die Kreativen, die genial Unkonventionellen oder die Gestalter von Neuem beste Schulabschlüsse – sondern die Fleißigen, die Lerner, die Abspeicherer und Wiederkäuer von althergebrachtem Wissen. Sie werden vom deutschen Schulwesen belohnt. Erfolge im Bildungssystem erzielen sie mit den gleichen Eigenschaften wie im Biedermeier vor 200 Jahren. Es fehlt an Reflexion darüber, welche Werte junge Menschen mit welchen Erfahrungen in den ersten rund 20 Lebensjahren ausprägen sollten, damit sie unsere Lebenswelt, unser Staatsverständnis und unser Wirtschaftssystem positiv beeinflussen können und zu glücklichen Menschen reifen.

Stärken stärken – das alte Prinzip der Wirtschaft
sollte auch in der Schule gelten

Wenn beispielsweise die altägyptische Kultur, die griechische Philosophie oder das Römische Reich auf dem Lehrplan stehen, können Fächer wie Geschichte, Erdkunde, Wirtschaft, Mathematik, Religion und Kunst verzahnt werden. Jeder Schüler sucht sich ein Teilprojekt aus und trägt zum Gelingen der Gruppenergebnisse bei. Jedes Gruppenmitglied wird nach seinen Stärken eingesetzt. Die eine recherchiert in der Bibliothek, der andere baut am Modell, die Dritte gestaltet eine Computergrafik, der vierte formuliert die Texte, die fünfte präsentiert die Arbeit, der sechste akquiriert möglicherweise eine Förderung oder eine öffentliche Ausstellungsfläche.

Gegenwärtig haben die Schülerinnen und Schüler zu wenig Freiraum, sie sind eingezwängt in enge Curricula, die Lehrer sollen in unsinnigen 45-Minuten-Einheiten Unterricht gestalten. Dabei entsteht viel Frontalmonolog und wenig dynamische und intrinsische Aneignungsarbeit der Schüler.

Vorteile des Wandels: mehr Freude, Wirsamkeit und Ertrag
sowie neugierigere, kreativere und selbstständigere Absolventen

Vorteile eines neuen Schulverständnisses mit einer Öffnung der Lehrpläne und der Unterrichtsformen wären: mehr Wertschätzung sozialer Leistungen, weniger Über- und Unterforderung, mehr selbstständiges Arbeiten, weniger Tränen und Frust, mehr Spaß der Schüler und der Lehrerinnen, weniger Schulabbrecher, aber mehr unvorhergesehene Ergebnisse, mehr Enthusiasmus bei den Kindern und Jugendlichen, weniger Abfragen von veraltetem Wissen. Und: glücklichere Absolvent(inn)en, entspanntere Eltern, zufriedenere Lehrerinnen und Lehrer.

Dass dies alles möglich ist, beweisen manche freien und privaten Schulen täglich überall in Deutschland. Und sogar einige wenige staatliche mit fortschrittlichen, experimentierfreudigen und streitbaren Leiterinnen und Leitern, die empathisch genug sind, sich eine gelingende Schule aus der Perspekive von Kindern vorzustellen. Aber es fehlt grundlegend am Geist des Wandels in den Kultusbürokratien. Hier wird dieses unzeitgemäße Schulsystem gehätschelt und zementiert. Der restaurative Apparat müsste zuvörderst als einer der wesentlichen Gründe erkannt werden für das Fehlen von digitalen Einhörnern in der deutschen Wirtschaft und für Angst, Frustration und fehlendem Pioniergeist bei Schülern, Lehrern und Eltern in diesem vorgestrigen System. Die vielen Unterrichtsvollzugsanstalten sollten komplett umgedacht und umorganisiert werden zu lebensfreundlichen, wertschätzenden Arenen für neugiere Wesen, die sich selbstwirksam, autonom und individuell mit ihren Stärken, Besonderheiten und Leidenschaften einbringen wollen in eine motivierte und lernbereite Gemeinschaft… Einstweilen aber müssen sich die von der Schule Betroffenen in Deutschland wohl mit Mark Twain trösten, der sagte: „Ich habe mir nie eine Erziehung durch Schulbildung verderben lassen.“

Herzlich, Ihr

Matthias Michael